Mittwoch, 28. Januar 2015

Die Angst der Zivilgesellschaft

Die Rituale der Distanzierung, die sich in Österreich medial und politisch in Bezug auf antifaschistische Proteste abspielen, sind manchmal weniger Resultat weitsichtiger Überlegungen. Sie können eher als Indikator für die Angst der Einzelnen, im medial-politischen Feld nicht mehr mitspielen zu dürfen, gesehen werden.

JournalistInnen, ParlamentarierInnen, LehrerInnen und Menschen in angesehenen Berufen werden nicht müde, sich von antifaschistischen Protesten zu distanzieren. Öffentliches Abstandnehmen scheint ihnen geboten, wenn Neonazis angespuckt und Mülltonnen durch Wiens Straßen gerollt werden. Dinge, die internationale Medien als "some minor incidents" (BBC)[1] bezeichnen, werden in Österreich dermaßen überdramatisiert, dass man glauben könnte, die Wiener Hofburg und mit ihr die ganze Republik stünde in Flammen. Dem war und ist nicht so. Bei den Zwischenfällen der letzten Jahre handelte es sich fast durchgehend um Sachbeschädigungen sowie punktuelle Verteidigung gegen gewaltbereite Polizeiformationen und provozierende Rechtsextreme. Die Zwischenfälle in der österreichischen Medienberichterstattung hingegen zeugen von Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen und einer Gleichgültigkeit in Bezug auf Polizeigewalt gegen antifaschistische DemonstrantInnen. Dadurch, dass Sachbeschädigung zumeist völlig undifferenziert als Gewalt verhandelt wird, kommt es zu einer systematischen Verharmlosung jener staatlichen Gewalt, die sich im Gegensatz zu der, den DemonstrantInnen zugeschriebenen, nicht gegen Mistkübel und Fensterscheiben, sondern gegen die Körper jener Menschen richtet, die von ihrem Recht zu demonstrieren, Gebrauch machen.

JournalistInnen machen ihrer oftmals postulierten Rolle als vierte Gewalt im Staat alle Ehre, wenn sie statt des postnazistischen österreichischen Normalzustandes, der alltäglichen Polizeigewalt und der von Rechten sowie Rechtsextremen durchsetzten Justiz, Personen des (halb-)öffentlichen Lebens, die sie mit antifaschistischen Protesten assoziieren, direkt und indirekt verleumden. In einschlägigen TV-Diskussionen ist zu beobachten, wie ModeratorInnen beständig Suggestivfragen stellen, die darauf hinauslaufen, dass man sich von dem, was sie "Gewalt" nennen, distanzieren müsse, um als GesprächspartnerIn ernstgenommen zu werden. Wer sich distanziert, darf mitmachen, wer dies nicht deutlich genug tut, wird wieder und wieder dazu befragt. Unter JournalistInnen scheint die Angst zu kursieren, als unausgewogen zu gelten und schlimmstenfalls die eigene Karriere zu riskieren, wenn nicht jeder rollende Mistkübel und jeder pyrotechnische Gegenstand, Objekt der Berichterstattung wird.


Für ein Ende der Gewalt?

Um Mitmachen statt Dagegen sein, scheint es auch den VertreterInnen diverser NGOs zu gehen, die bekanntermaßen auf Spendengelder angewiesen sind. Erfahrungswerte zeigen, dass sich die Spendenbereitschaft verringert, wenn die SpenderInnen Angst bekommen und meinen, ein Akt der Distanzierung mittels Stornierung des Dauerauftrags könne diese Angst lindern. Wo zuvor zumindest noch Zeichen gesetzt wurden, setzt man plötzlich jedes Gefühl für die Notwendigkeit von Solidarität in den Sand. Die Polizei, die man sonst zumindest punktuell für unverhältnismäßige Gewaltausübung per OTS-Meldung und Medienaktion kritisiert, steht einem plötzlich näher, als antifaschistische DemonstrantInnen, die von ihr in Ab- und Anwesenheit von Fernsehkameras stundenlang eingekesselt, verprügelt und eingesperrt werden. Da kann es schon einmal vorkommen, dass ein wichtiger NGO-Sprecher ein FPÖ-TV Video per Facebook verbreitet, auf dem die Gesichter vieler DemonstrantInnen deutlich zu erkennen sind. Es kotze ihn wirklich an, schrieb er damals, und meinte weder das Video noch seine UrheberInnen, sondern die DemonstrantInnen und erntete erschreckend viele „Likes“ dafür.

Die Frage ist nun, was die einzelnen AkteurInnen dazu treibt, sich entweder aktiv zu distanzieren oder implizit den Eindruck zu erwecken, sie hätten etwas falsch gemacht, wenn sie es nicht tun. Während FPÖ-PolitikerInnen sich medial fast alles leisten können ohne Angst davor haben zu müssen, nicht mehr interviewt oder nicht mehr in TV-Sendungen eingeladen zu werden, scheinen Linke ihre prekäre Lage zu spüren. Es fragt sich allerdings, ob diese Lage tatsächlich so prekär ist, dass man sie auf dem Rücken medial noch stärker prekarisierter AktivistInnen lindern muss. Vermutlich ist es die Angst vor dem medial-politischen Ausgeschlossen werden, die sie prekärer erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist. Denn erfahrungsgemäß suchen Medien - seien es Zeitungen, Fernsehkanäle oder Online-Portale - nach möglichst skandalträchtigen Politpersönlichkeiten, da gerade sie in der Lage sind, Auflagen, Quoten und Klickraten zu erhöhen.

Es wäre insofern zu diskutieren, inwiefern die Angst der Zivilgesellschaft überhaupt eine berechtigte ist oder nur unausgesprochene Staatsräson. Ebenfalls zu diskutieren wäre allerdings, ob man als politisch aktiver Mensch nicht seinerseits Angst vor der Zivilgesellschaft haben müsste. Denn ihre AkteurInnen entscheiden aufgrund ihrer gesellschaftlichen Positionen mitunter über die ökonomische Zukunft jener, die nicht gewillt sind, das medial vorgegebene Spiel der Distanzierung von antifaschistischem Protest mitzuspielen.

Anmerkung:
[1] "Vienna 'far-right' ball condemnded in mass protests", 25.01.2014.

Dieser Artikel erscheint in Unique 01/2015 und wurde aus gegebenem Anlass - dem polizeilichen Verbot der #nowkr-Demo - hier vorab veröffentlicht. In der gleichen Ausgabe, die dieser Tage erscheinen wird, findet sich ein Schwerpunkt zum Thema Faschismus.

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