Donnerstag, 21. März 2013

Der März 1938 im März 2013 - Zum aktuellen Stand postnazistischer Medienwirklichkeit

Der Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland jährte sich dieser Tage zum 75. mal. ORF 2 versuchte die Ereignisse, deren unmittelbare Folgen und deren postnationalsozialistische Nachwirkung im Rahmen eines Programmschwerpunktes zu beleuchten.

In diesem Artikel möchte ich mich mit drei Dokumentationen, die in den letzten Tagen auf ORF 2 zu sehen waren, auseinandersetzen. Eine über Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, eine über den Anschluss und eine über die späte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Wiener Philharmoniker.

Wie Theodor W. Adorno bereits 1959 festgehalten hat, geht vom Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie eine viel größere Gefahr aus, als von Neonazigruppen, die sich offen gegen die Demokratie wenden[1]. Das zeigt die am 13. März 2013 im Rahmen der Sendereihe Menschen und Mächte (ORF 2) ausgestrahlte Dokumentation Trotz Verbot nicht tot - Rechtsextremismus in Österreich nur teilweise. Thematisiert wird das aktive Wegschauen der österreichischen Behörden und die Rolle des Kameradschaftsbundes in der Nachkriegszeit. Weitgehend ausgeblendet wird jedoch das parlamentarische Fortleben von NS-Ideologie und die Integration von NSDAP-Mitgliedern in den gesellschaftlichen Mainstream. Zum Teil kommt es zu regelrechten Umdeutungen. So wird die Angelobung von Bundesheer Soldaten im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen - für dessen Besuch das österreichische Innenministerium bis heute Eintritt verlangt, als wäre es eine TouristInnenattraktion - als großer Fortschritt gewertet und nicht als zynische Geste des damaligen FPÖ Verteidigungsministers Friedhelm Frischenschlager. Dass der gleiche Minister 1985 den NS-Kriegsverbrecher Walter Reder bei dessen Rückkehr nach Österreich mit einem freundlichen Händedruck begrüßte, wird verschwiegen[2]. So hat Trotz Verbot nicht tot - Rechtsextremismus in Österreich trotz hoher Informationsdichte bezeichnende Schwachstellen und Auslassungen, was die Kritik am politischen Mainstream der Gegenwart betrifft.

Hinter dem pathosgeladenen Titel Der Untergang Österreichs wird das Publikum von ORF 2 über die Umstände des Anschlusses im März 1938 informiert. Verklärt wird die austrofaschistische Herrschaft, die dem Anschluss vorausging und die den Nazis mit der systematischen Unterdrückung der kommunistischen und sozialdemokratischen Opposition den Boden bereitet hat. Der Antisemitismus bleibt ein Randthema. Er wird als einer von vielen Aspekten nationalsozialistischer Herrschaft verhandelt, nicht jedoch als der zentrale ideologische Faktor. Am Ende von Der Untergang Österreichs sind alle Opfer. Egal ob sie in Gaskammern, im Krieg oder bei alliierten Bombenangriffen gestorben sind.

Eine vergleichsweise positive Ausnahme stellt die am 11. März 2013 im Rahmen des Kulturmontag (ORF 2) ausgestrahlte Dokumentation Schatten der Vergangenheit - Die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus dar. Doch auch hier wird nur verklausuliert benannt, dass jene Personen, die derzeit Spitzenpositionen bei den PhilharmonikerInnen besetzen, Teil der Verdrängungsgeschichte sind und sie die wissenschaftliche Aufarbeitung jahrzehntelang ver- und noch bis in die jüngste Vergangenheit behindert haben. Leider ist auch der aktuelle Umgang der PhilharmonikerInnen typisch für das, was in Österreich unter Aufarbeitung der Vergangenheit verstanden wird: Aufgearbeitet werden darf erst dann, wenn die zu Tage geförderten Dokumente, beruflich niemandem mehr schaden können. Obwohl die Dokumentation das nicht explizit benennt, ist das an mehreren Stellen - quasi zwischen den Zeilen - herauslesbar.

Während alle genannten Dokumentationen im Spätprogramm von ORF 2 liefen, wurde zur Prime Time ebendort der kitschige ZDF Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter gezeigt. "Und das genau ist die Perspektive, die eine nun auch schon ältere Generation aus den Berichten ihrer Eltern kennt, aus knappen Bemerkungen, Lebensklugheiten, sei es von der Ostfront oder aus den Luftschutzkellern des Bombenkrieges", schreibt der Tagesspiegel und findet die Produktion großartig. Auch hier sind alle Opfer. Die einen müssen in den Krieg, die anderen werden in Konzentrationslager deportiert. Auf erschreckende Weise verschwimmt der Unterschied zwischen jenen, die sich an einem brutalen Angriffskrieg beteiligten und jenen, die Opfer eines industriell organisierten, antisemitisch motivierten Massenmordes wurden bzw. ihm knapp entkamen. Zum Schluss sind selbst die TäterInnen geläutert. Fragt sich bloß, warum ihre Kinder und Enkelkinder dann 75 Jahre später Filme, wie diesen, produzieren.

Gescheut hat sich ORF 2 vor einer kritische Auseinandersetzung mit dem parteiförmigen Rechtsextremismus und seiner Integration in den österreichischen Polit-Mainstream. Die mehrfachen Regierungsbeteiligungen des Dritten Lagers wurden nicht problematisiert - allenfalls einzelne Zitate in der Logik der punktuellen "Entgleisung" herausgegriffen. Die Probleme eines Landes, in dem sich noch heute 61 Prozent der Bevölkerung einen starken Führer wünschen; 46 Prozent meinen, Österreich sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen und 57 Prozent glauben, die Opfer der Shoah und ihre Nachkommen seien für ihr Leid ausreichend entschädigt worden[3], liegen nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in Gegenwart und Zukunft. Das Gefahrenpotential, dass aus derartigen Überzeugungen resultiert, gilt es zu thematisieren. Es zu benennen würde jedoch bedeuten, den Frieden mit dem österreichischen Normalzustand aufzukündigen.

Quellen und Anmerkungen:

[1] "Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Unterwanderung bezeichnet ein Objektives; nur darum machen zwielichtige Figuren ihr come back in Machtpositionen, weil die Verhältnisse sie begünstigen."
Theodor W. Adorno, "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit", Kulturkritik und Gesellschaft II, Mitw. Gretel Adorno/Susan Buck-Morss/Klaus Schultz, S. 555-556.
[2] Reder trägt die Verantwortung für das Massaker von Marzabotto.
[3] Conrad Seidl, "Umfrage: 42 Prozent sagen 'Unter Hitler war nicht alles schlecht'", 8. März 2013.


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