Freitag, 5. Juli 2013

Selbstmordattentäter im Kino (3): Der Blick auf Israel

In beiden Filmen wird die Grenze zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten sehr ausführlich thematisiert. Die Perspektive ist dabei jeweils die der PalästinenserInnen, die versuchen diese Grenze zu überwinden und dabei oftmals scheitern.

In Alles für meinen Vater muss die Grenze überwunden werden, um in Nazaret Fußball spielen zu können. Der Film zeigt, wie dies nach Ausbruch der zweiten Intifada für Tarek (Shredi Jabarin) und seinen Vater immer schwieriger wird. Er zeigt dies ohne einer einseitigen Verurteilung Israels Vorschub zu leisten. Vielmehr wird die Aufrüstung des israelischen Grenzregimes und der Ausbau der Grenzanlagen mit den vorangegangen Selbstmordanschlägen in Beziehung gesetzt und die geschichtliche Entwicklung der Grenzbefestigung in Zusammenhang mit der zweiten Intifada gezeigt.

Auch in Paradise Now wird die Grenze zwischen Israel und den Autonomiegebieten mehrmals thematisiert. Zum ersten Mal bereits direkt zu Beginn des Films, als die Menschenrechtsaktivistin Suha Azzam (Lubna Azabal) einen Checkpoint passiert und von einem israelischen Scharfschützen ins Visier genommen wird, während ein Soldat ihre Tasche durchsucht.

Die Überwindung der Grenze durch die Attentäter wird detailliert geschildert. Komplizen der Terroristen schneiden von der israelischen Seite aus ein Loch in den Grenzzaun. Doch der erste Grenzübertritt scheitert. Said (Kais Nashif) und Khaled (Ali Suliman) werden unter Beschuss genommen und fliehen zurück auf palästinensisches Territorium. Weder die Schützen noch der Ort von dem aus geschossen wird, ist für das Publikum eindeutig auszumachen. Die Gewalt tritt in anonymisierter Form auf, einzig ein israelischer Militärjeep, der sich in Richtung der Attentäter bewegt, ist deutlich zu sehen. In weiterer Folge werden Said und Khaled getrennt. Lediglich Said gelingt der Grenzübertritt.

Im Unterschied zu Alles für meinen Vater, ist der Blick auf Israel - bzw. im konkreten Fall auf die SiedlerInnen - in Paradise Now zum Teil eindeutig antisemitisch. Etwa wenn die Legende vom jüdischen Brunnenvergifter in einem Dialog zwischen einem Taxifahrer und Said in aktualisierter Form völlig unkritisch wiedergegeben wird:
Taxifahrer: Kein Filter kann das Wasser reinigen, dass die Siedler in der ganzen Westbank verseucht haben. Haben sie schon gehört, was man da im Wasser gefunden hat?
Said: (...) Nein, habe ich nicht.
Taxifahrer: Nicht? Man hat darin was gefunden, dass das Sperma abtöten soll.
Dieser Dialog bleibt unkommentiert stehen. Kein inszenatorisches Mittel benennt oder dekonstruiert seinen antisemitischen Gehalt. Die jüdischen SiedlerInnen bleiben unsichtbar. Regisseur Hany Abu-Assad lässt sie nicht sprechen, er zeigt keine gegenläufigen Bilder.

Statt sich mit Antisemitismus in islamisch geprägten Gesellschaften kritisch auseinander zu setzen, entscheidet sich der Regisseur von Paradise Now für eine Täter/Opfer-Umkehr. Am deutlichsten wird diese in einem Monolog des Selbstmordattentäters Said artikuliert. Nicht er, der durch seinen Anschlag mutmaßlich dutzende Menschen ermordet, sei der Täter, sondern die Israelis:
"Und was dabei so schlimm und widersinnig ist: Sie [die Israelis, Anm.] haben sich selbst und der Welt glauben gemacht, die Opfer wären sie. Und wie geht das? Opfer und Besatzer sein? Wenn sie Unterdrücker und Opfer in einem sein können, dann fragt sich, was bin ich, was bleibt mir übrig als Opfer und Opfernder. Unterdrückter und Mörder zu sein."
Tobias Ebbrecht bringt die Strategie des Regisseurs auf den Punkt, wenn er schreibt, dass er hinter "dem Mantel der Kunst, (...) eine Realität [konstruiert], die dem binären Schema entspricht, das Israelis als Täter und Palästinenser als Opfer darstellt." Eine solche Festlegung lässt keinen Platz für eine differenzierte Darstellung des Konflikts.

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der Funktion von Suha interessant ebenso wie die nach der Strategie, die Abu-Assad mit dieser Figur verfolgt. Ralf Schroeder widerspricht einer Interpretation, die Suha zu einer moralisch richtig handelnden und pazifistisch denkenden Menschenrechtsaktivistin macht:
"'Moral War!' fordert die junge Suha von Said. Doch, so wird manches schlichte Gemüt gefragt haben, wie brutal muß Israels Regime sein, daß Suhas Liebe nicht die Verzweiflung Saids aufzuhalten vermag? Die Antwort müßte nicht mehr formuliert werden, aber aus Angst, ganz beschränkte Geister noch nicht erreicht zu haben, zünden im letzten Drittel des Filmes anti-israelischen Monologe wie Sprengsätze."
Die Menschenrechte für die Suha eintritt, sind nicht die der israelischen Bevölkerung. Ihr wird kein Recht auf ein friedliches Leben zugestanden. Denn auch Suha führt einen Kampf gegen Israel, nur mit anderen Mitteln. Der Blick auf Israel ist auch bei ihr einer des Hasses und nicht einer, der auf Versöhnung abzielt.

Während Alles für meinen Vater um eine differenzierte Darstellung sowohl der israelischen Gesellschaft als auch des Konflikts mit den PalästinenserInnen bemüht ist, folgt Paradise Now der Logik eines manichäischen Weltbildes, dem zufolge die Grenze zwischen Gut und Böse an der Demarkationslinie zwischen Israel und den Autonomiegebieten verläuft.

Doch auch Alles für meinen Vater bietet problematische Lesarten an. So fällt auf, dass religiös-jüdische Figuren im Film sehr negativ gezeichnet werden. Die positiven Identifikationsfigruen finden sich an den Rändern der israelischen Gesellschaft, sind nicht religiös und gelten ihrem Umfeld als sonderbar. Ähnlich schlecht kommen die Institutionen des israelischen Staates weg. Die Armee ist für Katz (Shlomo Vishinsky) desavouiert, seit sein Sohn während seines Wehrdienstes bei einer Übung ums Leben kam. Die israelische Polizei wird durch den rassistischen Hilfspolizisten von Nebenan repräsentiert. Keren (Hili Yalon) wiederum muss sich beständig gegen die Gewaltandrohungen ihrer streng religiösen Brüder wehren und mit der Tatsache zurecht kommen, dass der Kontakt zu ihrer Familie aufgrund einer Abtreibung gekappt ist. "Desto staatsnaher, desto böser" sowie "desto jüdischer, desto böser" scheint das Grundnarrativ von Alles für meinen Vater zu sein.

Was in einem israelischen Kontext als emanzipatorische Kritik am konservativen Frauenbild streng gläubiger Juden und Jüdinnen funktionieren kann, wird in einer europäischen - zumal in einer deutschen oder österreichischen - Rezeption schnell zu einem Argument der Delegitimierung Israels. So manche problematischen Tendenzen des Filmes, lassen sich aus in Deutschland erschienen Rezensionen herauslesen. Etwa wenn DER SPIEGEL Alles für meinen Vater als Film versteht, der eine "rührend schöne Geschichte" erzähle, "die dem Terror ein menschliches Gesicht gibt".

Die israelische Großstadt

Tel Aviv wird in Paradise Now als Stadt der Hochhäuser, der kalten Glasfassaden, des Kommerz gezeigt. Die Hochhäuser sind von Straßenniveau aus gefilmt und wirken damit besonders imposant und übermächtig. An der Außenseite eines der Hochhäuser wirbt ein gigantisches Plakat mit einem androgyn wirkenden männlichen Model für Mobiltelefone.

Ian Buruma und Avishai Margalit setzen sich im Kontext der Zerstörung des World Trade Centers mit der symbolischen Bedeutung von Wolkenkratzern im Zusammenhang mit okzidentalistischen Projektionen auseinander. Aus der Perspektive islamisch geprägter TerroristInnen und ihres politischen Umfelds, symbolisieren die Skylines westlicher Städte globale und imperiale kapitalistische Vorherrschaft, quasi ein neues Babylon. Auch wenn sich Burumas und Margalits Analyse auf New York bezieht, lässt sie sich in diesem Fall durchaus auf Tel Aviv übertragen. Es sei in diesem Zusammenhang an die antiimperialistischen Logik erinnert, die in den USA den großen und in Israel den kleinen Satan zu erkennen meint.

Während Paradise Now inszenatorisch eine okzidentalen Sichtweise auf die israelische Großstadt verfolgt, wird das Publikum in Alles für meinen Vater in die Stadt mitgenommen und lernt sie und einige ihrer BewohnerInnen im Laufe der Handlung kennen. Terek verbringt zwei Tage in der Stadt, bewegt sich mit Keren durch die Straßenzüge der Metropole und besucht mit ihr den Strand. Die Heterogenität der Großstadt Tel Aviv wird verdeutlicht, Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen werden gezeigt. Das Publikum lernt die BetreiberInnen kleiner Straßenläden kennen, die Menschen auf den Markt, die erzkonservative Familie von Keren und deren gewaltbereites Umfeld, sowie Karen selbst, die aus diesem Milleu ausgebrochen ist und deshalb bedroht wird. Der Shoa-Überlebende Katz, der mit dem Leben seit dem Tod seines Sohnes in der israelischen Armee abgeschlossen hat, verweist gleich auf mehrere wichtige Aspekte israelischer Geschichte und Gegenwart: Zum Einen auf die Ursache der Staatsgründung, die im europäischen Antisemitismus zu suchen ist – zum Anderen auf die durch die äußere Bedrohung notwendige Militarisierung der israelischen Gesellschaft. Opfer dieser Militarisierung wurde der Sohn von Katz, der während seiner Zeit in der Armee bei einer Übung verdurstete.

Was das Bild der israelischen Großstadt betrifft, erweist sich Alles für meinen Vater eindeutig als der differenziertere der beiden Filme. Tel Aviv wird als Ort der gesellschaftlichen Widersprüche gezeigt, die israelische Gesellschaft als eine vielschichtige. Antiarabischer Rassismus und die schlechten Arbeitsbedingungen palästinensischer ArbeitsmigrantInnen werden thematisiert. Demgegenüber bleibt Paradise Now in der Darstellung der israelischen Großstadt seinem binären Schema treu. Der Film gibt dem Publikum keine Chance, das zuvor gezeichnete negative Israel-Bild zu korrigieren. Paradise Now zeigt ein anonymes, stellenweise durch seine Imposanz beängstigendes Tel Aviv. Alles für meinen Vater zeigt eine Stadt der politischen und ökonomischen Widersprüche und sie zeigt die Selbigen in Bezug auf das Leben der BewohnerInnen jener Seitengasse, in der der Film größtenteils spielt.

Literatur
Buruma, Ian/ Margalit, Avishai, Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, München/Wien: Hanser 2005.
Ebbrecht, Tobias, "Der Selbstmordattentäter als mythischer Held. Hany Abu-Assads Film 'Paradise Now' porträtiert zwei palästinensische Selbstmordattentäter", in: Typoskript.net (Hg.), Kunstsinn & Barbarei. Judenmord verstehen lernen. Pressemappe zur Kritik an 'Paradise Now', Berlin 2005.
Schroeder, Ralf, "Moral War", in: Typoskript.net (Hg.), Kunstsinn & Barbarei. Judenmord verstehen lernen. Pressemappe zur Kritik an 'Paradise Now', Berlin 2005.

Selbstmordattentäter im Kino (1): Die Motivation der Attentäter
Selbstmordattentäter im Kino (2): Die Terrororganisationen
Selbstmordattentäter im Kino (4): Der Raum der potentiellen Opfer
Selbstmordattentäter im Kino (5): Die Detonation

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