Freitag, 10. Oktober 2014

Unfreiwilliges Reisen und freiwilliges Flüchten in "An Idiot Abroad" und "Go Back To Where You Came From"

Desinteressiert gereist, freiwillig geflüchtet. So lassen sich die Abweichung vom Erwartbaren in den TV-Formaten An Idiot Abroad (Sky 1) und Go Back To Where You Came From (SBS One) umreißen.

In An Idiot Abroad schicken Ricky Gervais und Stephen Merchant, die für legendäre Serien wie The Office (BBC Two) und Extras (BBC One) verantwortlich zeichnen, den Auslandsreisen skeptisch bis ablehnend gegenüberstehenden nordenglischen Kleinbürger Karl Pilkington auf Weltreise. In der ersten Staffel dienen eine leicht abgeänderte Variante der sieben Weltwunder als erzählerischer roter Faden. Der zweiten Staffel dient eine Auswahl aus oft genannten Bucketlist-Einträgen - das sind Listen, auf denen Hipster aufzählen, was sie noch alles machen möchten, bevor sie sterben - als Reisevorwand. Die Projektionen meist bildungsbürgerlicher Rucksacktourist_innen, die Spiritualität und Authentizität "anderer Kulturen" betreffend, prallen auf den bildungsfernen Karl Pilkington, der - so wird behauptet - keine derartigen Sehnsuchtssettings mitbringt.

Go Back To Where You Came From hat einen aufklärerischen Anspruch, der aus einem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag resultiert. Umzusetzen versucht wird dieser im Rahmen eines Reality TV Formats. Die von einem Migrationsforscher moderierte Show macht ihre Teilnehmer_innen temporär zu Menschen auf der Flucht, so die Prämisse. Sie gehen dorthin, woher Menschen nach Australien flüchten und besuchen Teile ihrer Fluchtrouten und große Flüchtlingslager, an denen Menschen viele Jahre und zum Teil ihr ganzes Leben festsitzen. Fixer Bestandteil des Formats sind Treffen und Gespräche mit Geflüchteten, die sich in verschiedenen Stadien der Flucht befinden.

In der ersten Staffel ist es ein Panel an Australier_innen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Ansichten zum Thema Migration und Flucht, das auf Reisen geschickt wird. In der zweiten Staffel sind es prominente Opinon Leader, ehemalige und aktive Politiker sowie Künstlerinnen.

An Idiot Abroad ist herkömmlichen Reisedokumentationen insofern entrückt, als Hauptprotagonist Karl Pilkington nicht aus kulturalistisch-exotisierendem Interesse reist und seine Interaktionen dadurch fragmentarische Blicke auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Allgemeinen und auf jene in der Tourismusindustrie im Speziellen freilegen. Zugleich ist das Label des „Idiot“ aber Legitimation für manch rassistisches, sexistisches oder homophobes Statement, wobei derartige Aussagen nicht immer, aber doch meistens unkommentiert stehen bleiben.

Beide Formate bedienen sich weißer Reisender als Zentrum des Narrativs. An Idiot Abroad ausschließlich, Go Back To Where You Came From mit wenigen Ausnahmen. In Go Back To Where You Came From sind die Teilnehmer_innen Stellvertreter_nnen für jene Menschen, die vor gesellschaftlicher Gewalt flüchten. Es ist ein gut gemeinter, aber dennoch - und zum Teil auch gerade deshalb - hochgradig ambivalenter Versuch, durch die Privilegierung der Stellvertreter_innen Empathie für die Geflüchteten zu schaffen.

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