Donnerstag, 30. Mai 2013

Woran sich regressive Fernsehkritik erkennen lässt

Die Kritik des Fernsehens ist oft kaum besser als ihr Gegenstand, weshalb es an der Zeit ist, sich mit einigen Motiven regressiver Fernsehkritik auseinanderzusetzen und zu Fragen, wie sich ihnen begegnen lässt.

"Dafür muss ich Gebühren zahlen"

Die Empörung ob der gezeigten Inhalte mag echt und die Kritik oft nachvollziehbar sein: Wer sie aber mit dem Gebühren-Argument unterstreicht, gerät unweigerlich ins Fahrwasser all jener, die sich grundsätzlich gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wenden. Das sind primär private Medienkonzern-Familienunternehmen wie Murdoch, Springer, Bertelsmann oder Dichand mit ihren alles andere als emanzipatorischen politischen Agenden. Die konservativ-liberale Regierung in Großbritannien hat nicht zufällig die BBC zu einem ihrer Hauptfeinde erklärt und die Verweigerung einer Inflationsanpassung der Licence Fees als taugliche Waffe im Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Sektor, dem auf diesem Wege ein Sparzwang diktiert wird, entdeckt.

Positiv abheben würde sich eine Kritik, die auf Staatsnähe und überbordende Kommerzialisierung öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten abzielt. Während beispielsweise die BBC grundsätzlich werbefrei ist, ist der ORF voll davon. Um so etwas wie nicht kommerziellen, möglichst staatsfernen Rundfunk als Teil einer pluralistischen Medienlandschaft zu ermöglichen, ist eine Finanzierung durch Gebühren unumgänglich. Wichtig wäre, dass die Gebühren auch tatsächlich in Programminhalte fließen. Von den 2012 durch die GIS eingehobenen 821,7 Millionen Euro, flossen nur 545,8 an den ORF. 127,4 gingen an die Bundesländer, 18 Millionen in den Kunstförderbetrag, 14,8 bleiben bei der GIS und das Finanzministerium bekommt die restlichen 115,7. Dieser Verteilungsschlüssel wäre zu hinterfragen - nicht jedoch die Existenz von Gebühren zur Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medieninhalte.

"Die ganzen amerikanischen Serien"

Ein Argument, das oftmals gegen ORF eins angeführt wird, ist jenes, wonach der öffentlich-rechtliche Auftrag nicht erfüllt werde, weil sich derart viele amerikanische Serien im Programm finden. Teilweise mag die Kritik der tatsächlich miesen Qualität der ausgewählten Serien geschuldet sein. Wer aber glaubt, das Kritikwürdige an diesen und anderen Serien sei, dass es sich um amerikanische Produktionen handelt, ist antiamerikanischen Ressentiments aufgesessen und erhofft sich Qualität mutmaßlich von österreichischen Eigenproduktionen.

Wie das dann aussieht, kann man im Nachmittagsprogramm von ORF 2 beobachten, das uhrzeitabhängig mit koproduzierten Soaps oder boulevardesken, aus Garten-, Kochtipps und Fahndungsfotos bestehenden Infomagazinen bestritten wird. Abends folgen Volksmusik und andere Heimattümelei-Formate. In den spätabendlichen Diskussionsformaten begrüßen einen regelmäßig FPÖ-PolitikerInnen und weitere RechtsextremistInnen und helfen, die ohnehin niedrige Diskussionskultur von Sendungen wie Im Zentrum und dem zum Glück eingestellten Club 2 ins Bodenlose abzusenken.

ORF 2, seine österreichischen Eigenproduktionen und seine deutsch-österreichischen Koproduktionen sind schlimmer als so ziemlich alle amerikanischen Formate, die im ORF zu sehen sind. Wünschenswert wären deshalb eher mehr als weniger amerikanische TV-Importe - im Idealfall generell globalere Perspektiven in der Auswahl von Filmen und Serien.

"Unterschichtenfernsehen"

Statt zu kritisieren wie Reality-TV und Castingshows Menschen und die Kontexte, die sie repräsentieren, darstellen, ist Publikum und Kritik gleichermaßen in Abgrenzungsritualen verhaftet. Ein zentraler Begriff dieser Abgrenzungsrituale ist "Unterschichtenfernsehen".

Hans Weingartner hat mit Free Rainer - Dein Fernseher lügt (BRD/Ö 2007) einen Film gemacht, der sich an vermeintlichem "Unterschichtenfernsehen" abarbeitet. Bezeichnenderweise ist der Film nicht weniger sexistisch als ein durchschnittliches Reality-TV Format. Seine zentrale These, wonach die Leute besseres Fernsehen schauen müssten, damit besseres Fernsehen produziert würde, ist hanebüchen, exkulpiert die ProduzentInnen von ihrer Verantwortung und schiebt sie einzig und allein den KonsumentInnen zu.

Der Begriff selbst wurde von Paul Nolte, einem rechtskonservativen Historiker, etabliert und von Harald Schmidt mit herablassendem Duktus popularisiert. Die da Unten seien schuld am schlechten Fernsehen und nicht nur das: Letztlich auch an ihrer prekären sozialen Lage. Emanzipatorische Fernsehkritik müsste sich anderer begrifflicher und analytischer Instrumentarien bedienen, um Formate wie Das Geschäft mit der Liebe, Wir leben im Gemeindebau (beide ATV) oder Frauentausch (RTL II) adäquat kritisieren zu können.

"Das ist Volksverdummung"

Vom "Unterschichtenfernsehen" ist es nur ein kleiner Schritt zum Vorwurf, das Fernsehen würde "Volksverdummung" betreiben. Im Begriff schwingt die Vorstellung eines an sich klugen und tendenziell homogenen Volkes mit. Fernsehen wiederum erscheint wie ein Virus, der für die Verdummung des selbigen verantwortlich sein soll.

Gesteht man der KritikerIn zu, Volk nicht in einem völkischen Sinne, sondern eher wie "people" - in diesem Fall als Synonym für das Fernsehpublikum - zu meinen, wird das Argument nicht richtiger. Das Verständnis gesellschaftlicher Verhältnisse ist ein Verkürztes, wenn die Verantwortung für ein schlechtes, vielfältige Ausschlüsse (re-)produzierendes Bildungssystem abgespalten und in das Medium Fernsehen verlagert wird. Der Verdacht, dass Fernsehen - zumal das deutschsprachige - sein Publikum nicht in einem kritisch-empathischen Sinne bilden möchte, mag richtig sein. Nicht zuletzt trifft das auf die TV-Nachrichten zu, die so gut wie immer an der Oberfläche verharren und kaum Hintergrundwissen oder gar globale Zusammenhänge vermitteln. Dennoch bildet sich in den herrschenden Fernsehinhalten primär etwas ab, das gesamtgesellschaftlich im Argen liegt, als das sie diesen Zustand produzieren. Sexismen, Rassismen, Klassismus, Homophobie und viele andere gewaltförmige Herrschaftsverhältnisse werden vom Fernsehen reproduziert, ästhetisiert und zugleich verschleiert. Produziert werden sie aber von einer auf Ausbeutung und Herrschaft basierenden Gesellschaft.

Für eine fundierte Kritik der Kulturindustrie, wie sie VertreterInnen der Kritischen Theorie zu entfalten versuchen, sind Begriffe wie "Volksverdummung" untauglich. Geklärt werden müsste in einem ideologiekritischen Sinne, woraus die Verdummung besteht, welche gesellschaftlichen Tendenzen sich in ihr fortschreiben und welche Vorstellungen von Gesellschaft den Fernsehinhalten jeweils zu Grunde liegt.

"Wir haben den Fernseher abgeschafft"

Ein bildungsbürgerlicher Duktus, der weniger aus Reflexion als aus Abgrenzung besteht, mündet mitunter in der Verbannung des Fernsehgerätes. Abgegrenzt wird dabei weniger gegen jene, die Fernsehinhalte produzieren, als vielmehr gegen die, von denen man annimmt, sie seien die Hauptzielgruppe.

Auch hier wird der Fernseher als Virus imaginiert, der das Zusammenleben negativ beeinflusst. Nur wie ist es um dieses Zusammenleben bestellt, wenn sein Funktionieren auf der Abwesenheit eines technischen Gerätes beruht? Statt diese Frage zu beantworten, geht die FernsehabschafferIn lieber ins Theater (oder behauptet das zumindest). Ältere Medien werden hochwertiger eingeschätzt als Neue. Da die wenigsten FernsehabschafferInnen auch die ganz neuen Medien wie Internet und Smartphone abschaffen, kommt das Fernsehen in transformierter Form zurück. Die vorgebliche Abschaffung ist mehr denn je zur Farce geronnene bildungsbürgerliche Selbstinszenierung.

Dieser Text ist geringfügig überarbeitet in Unique 5/2013 erschienen.

3 Kommentare:

  1. Fernsehgebühr wäre okay, wenn das Programm von 18 bis 24 uhr ausgestrahlt werden würde und frei wäre von Sport, Religion, Volksmusik, Unterhaltungssendungen, Werbung, Talk- und anderen Shows und deutschen Serien.

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  2. Die ganzen Leute sollten einfach weniger scheinheilig tun. Letztlich würden sich sich auch noch beschweren, wenn es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen z.B. nur noch deutsche Produktionen geben würde.

    Ja... die öffentlich-rechtlichen Sender haben einen Bildungsauftrag. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht auch mal an die Zuschauer unter der Zielgruppe 60+ wenden dürfen.

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  3. Naja. Solange eins einfach nur in die Glotze schaut und es als Unterhaltungsmedium konsumiert, solange wird es auch kein emanzipatorischen Moment aufweisen. Da ist es auch egal, ob eins vermeintliches Unterschichtenfernsehen oder BBC schaut, ins Theater geht oder die Bücher der New York Times Bestsellerlisten liest.

    Worum's bei der Abschaffung des Gerätes und damit der Programmselektion durch andere geht, ist, dass eins frei ist, sich ein eigenes Unterhaltungs- bzw. Informationsprogramm zusammenzusuchen. Sich den ganzen Tag us-amerikanische Serien reinzuziehen oder auch sich auf die Diskussionssendungen zu konzentrieren, die eins für wichtig hält wär dann ebenso möglich, wie gar nichts zu schauen, außer wenn mal eins was durch andere empfohlen bekommt und diese dann kritisch diskutiert werden können (was für Bilder werden gezeichnet, was für Vorurteile und warum bedient, inwiefern sind die Diskussionsrunden zwischen den 4 Expert_innen problematisch, was bleibt unerwähnt, etc.?).

    Fernsehen ist IMHO ein altes und überwiegend passives Medium (ein Sender, viele Empfänger). Da ist das Internet als Medium um einiges progressiver, weil es viel einfacher geworden ist mit anderen zu kommunizieren. Und eins nicht unbedingt auf oberflächliche APA-Meldungen beschränkt wird.

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