Montag, 2. Mai 2011

Tierrechte im Reality-TV (1): Linke Wohngemeinschaft und Bauernfamilie

Was passiert wenn Menschen mit einer emanzipatorischen Intention ein Reality-Format nutzen wollen, um beim Publikum einen Reflektionsprozess auszulösen bzw. die praktische Lebenseinstellung des Publikums sogar aktiv zu verändern?

Anlässlich des heute erfolgten Freispruchs in einem der skandalträchtigsten österreichischen Gerichtsverfahren der letzten Jahre, möchte ich mich im Rahmen einer kleinen Artikelserie mit den Auftritten von TierrechtlerInnen in den Sendungen Tausche Leben und Tausch Familie (beides ATV) beschäftigen. Fernsehauftritte, die auch im Gerichtsprozess eine Rolle spielten.

Tausche Leben und Tausche Familie sind ähnlich wie Frauentausch (RTL 2) konzeptionell so angelegt, dass Menschen aus möglichst gegensätzlichen Milieus aufeinander treffen. Konfliktpotential muss vorhanden sein - denn davon lebt die Sendung. Die Chancen als KandidatInnen für Tausche Familie bzw. für das Nachfolgeformat Tausche Leben gecastet zu werden, waren (beide Sendung wurden mittlerweile abgesetzt) deshalb nicht zuletzt für Menschen aus in linken, alternativen und subkulturellen Kontexten überdurchschnittlich gut.

Sämtliche Tausche whatever Formate können dem Genre Doku-Soap (mit mutmaßlich großem Scripted Reality Anteil) zugerechnet werden. Zwei Familien (fallweise auch andere soziale Einheiten wie Nazis, SchlagersängerInnen, SchlägerInnen, die Band Drahdiwaberl oder eben TierrechtlerInnen) schicken jeweils eine Person zu einer anderen Familie. Das Experiment dauert eine Woche und wird im Anschluss zu einer Dokumentation von etwas mehr als einer Stunde zusammengeschnitten.

In Tausche Familie von vom 8. November 2005 wurde der Tierrechts-Aktivist F. gegen die 45 Jahre alte Landwirtin Elisabeth getauscht. F. soll den Bauern Franz bei der Arbeit auf dem Hof im oberösterreichischen Dorf Weibern unterstützen, während Elisabeth in eine vegane Wohngemeinschaft in Wien einzieht und aktiv an Tierrechtskundgebungen teilnehmen soll.

Geschlechtsspezifische Zuschreibungen

Bei Landwirtin Elisabeth ist von Beginn an klar, dass ihre Ehe mit Franz in einer tiefen Krise steckt. Als sie den Hof in Richtung Tauschfamilie verlässt, sagt die ATV-Sprecherin aus dem Off: "Insgeheim hofft sie sich in Wien eine neue Existenz aufbauen zu können um endlich von ihrem Mann wegzukommen." Trotzdem hat sie - das will uns zumindest ATV vermitteln - große Schwierigkeiten aus dem konservativen Rollenbild der bäuerlichen Hausfrau auszubrechen.

Die TierrechtlerInnen bewohnen eine Polit-WG in Wien. Bezeichnend ist, wie die das Off-Kommentar von ATV die Frauen in der WG charakterisiert. Während bei den beiden Männern der Fokus auf dem politischen Aktivismus liegt, werden die beiden Frauen als „Freundin von“ bzw. "Wirbelwind der WG" eingeführt. Um als Frau bei den Sendungsverantwortlichen von Tausche Familie zumindest als halbwegs politisch denk- und handlungsfähig dargestellt zu werden, ist es ratsam wie Studentin E. ein medial vermitteltes Single-Dasein zu führen. Trotz der "Wirbelwind"-Zuschreibung wird sie als unabhängige und selbstbewusste Polit-Aktivistin dargestellt, während S. dieser Status vorenthalten wird. Schon zu Beginn stellt sie die Sprecherin mit folgenden Worten vor: "S. (...) ihr Lebensinhalt: Freund Felix und Demonstrationen." (Immerhin Demonstrationen...)

S. ist in erster Linie als Freundin von F. wahrnehmbar. Im Verlauf der Sendung wird drei mal gezeigt wie sie wegen F. weint. ATV reproduziert damit gängige geschlechtsspezifische Verhaltenszuschreibungen, sei es mit dem Mittel der Montage, durch Inserts oder durch Kommentare aus dem Off. Für Emotionalität sind auch bei den TierrechtlerInnen, so suggeriert es die Schnittfassung, die Frauen zuständig. Den Männern wird mit Attributen wie "Kampagnenleiter" die Ratio und damit einhergehend Führungsqualität zugesprochen.

Interessant ist jedoch, dass Bäuerin Elisabeth zumindest zeitweise in Wien konkrete Aktionen setzt, um finanziell ohne ihren Mann überleben zu können. ATV entwickelt daraus einen narrativen Nebenstrang. Gemeinsam mit den zwei Tierrechtsaktivistinnen besucht sie das AMS (das österreichische Pendant zur Bundesagentur für Arbeit) um sich über mögliche Jobs schlau zu machen. In diesem Kontext lässt ATV auch einige feministische Statements zu. Beispielsweise sagt Aktivistin E., dass sie im Alter nicht auf ihr Leben zurückblicken und zur Einsicht kommen möchte: "Ich habe nichts gemacht, was mir Spass macht. Ich habe alles nur für einen Mann gemacht, der es nicht zu schätzen weiß." Auch wenn diese Nebenerzählung letztlich versandet und Elisabeth am Ende zu ihrem Mann zurückkehrt, konnte zumindest aufgezeigt werden, dass ein anderes Leben grundsätzlich möglich wäre.

Strategien

Die Kritik an Tierfabriken und Fleischkonsum bringen die TierrechtlerInnen mit unterschiedlichen Strategien ein. Zum einen durch das Vorleben veganer Ernährung in ihrer WG und zum anderen durch Aktionen im öffentlichen Raum. Die Körper der TierrechtlerInnen dienen ebenso wie ihre Wohnungen als Werbeflächen. Kaum ein T-Shirt, dass nicht für eine Tierrechts- oder Tierschutzorganisation wirbt - kaum eine Wand, an der nicht ein einschlägiges Poster hängt.

F. bekocht seinen oberösterreichischen Gastgeber mit Fleischersatz und führt mit ihm mehrmals Grundsatzdiskussionen über Tierhaltung und Fleischproduktion. Außerdem verweigert er die Zubereitung von Fleisch und hilft nicht bei Stallarbeiten. Allerdings begleitet er den Bauer Franz in den Stall und kritisiert dort kameragerecht die Tierhaltung auf engstem Raum. Das Zusammenleben von F. und Franz ist von Beginn an reich an Konflikten.

Anders die Situation in Wien: Elisabeth soll F. in Wien bei Demos vertreten. Bei einer Kundgebung gegen Pelz verliest sie per Megaphon ein Flugblatt gegen Tierquälerei, beteiligt sich an Sprechchören und lässt sich sogar auf einer belebten Einkaufsstraße symbolisch schlachten. Sie ist sich mit ihren GastgeberInnen einig, was die Ablehnung der Pelzindustrie betrifft.

Eskalation

Aber - so will es das Format - die Eskalation nimmt ihren Lauf. Waren die ersten fünfzig Minuten der Sendung zumindest in Wien weitgehend harmonisch, änderte sich das mit der zweiten Aktion der TierrechtsaktivistInnen. Während Elisabeth die Proteste gegen die Pelzindustrie noch mittragen konnte, verweigert sie die Teilnahme an einer Protestaktion gegen Massentierhaltung und Fleischkonsum.

Am Ende der Sendung kommt es zur Begegnung der beiden Tausch"familien". Die TierrechtlerInnen fahren nach Oberösterreich, um F. abzuholen und sich ein Bild von der Tierhaltung am Bauernhof von Franz und Elisabeth zu machen. Dort kommt es schließlich zu Handgreiflichkeiten. Elisabeth schlägt eine Tierrechtsaktivistin. Nicht zuletzt diese Eskalation führt jedoch dazu, dass die Deutungshoheit über das Geschehene weitgehend bei den TierrechtsaktivistInnen bleibt. In den Interviews schildern sie sowohl die eskalative Entwicklung als auch den Sinneswandel von Bäuerin Elisabeth, die ihren Mann nunmehr tatkräftig verteidigt, plausibler als die Gegenseite.

Die finale Eskalation ist für die Grundintention der TierrechtlerInnen nicht wirklich schlimm – im Gegenteil! Auch wenn sie der Konflikt-Dramaturgie des Formats Rechnung trägt, war es insbesondere durch die zahlreichen Streitgespräche und Konfrontationen möglich, unterschiedliche Zugänge sowohl in Bezug auf Tierrechte als auch auf Fragen der Lebensführung (die zerrüttete Ehe von Franz und Elisabeth wird am Schluss noch einmal thematisiert) zu transportieren.

Fortsetzung folgt...


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen