Der Auftrag für Jud Süß kam einst direkt von Joseph Goebbels, der betonte, dass es der antisemitische Film schlechthin werden soll. Harlan nahm den Auftrag an und besetzte seine Ehefrau Kristina Söderbaum für die weibliche Hauptrolle Dorothea - eine "arische" Frau, die im Film Selbstmord verübt, nachdem sie von einem Juden vergewaltigt wird. Goebbels war mit dem Ergebnis zufrieden: "Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können" notiert er am 18. September 1940 in sein Tagebuch. Nach der Uraufführung bei den Filmfestspielen von Venedig lief der Streifen nicht nur extrem erfolgreich in den Kinos (über 20 Millionen ZuschauerInnen bis 1943), sondern wurde gezielt dem Wachpersonal in den Konzentrationslagern gezeigt um die Hemmschwelle zur Ausübung antisemitischer Gewalt zu senken. Tatsächlich kam es nach den Filmvorführungen zu verstärkten Übergriffen auf die Häftlinge.
In Schuld und Abwehr nimmt Theodor W. Adorno auf Harlans Jud Süß bezog. Adorno betont, dass der Film nicht bloß mit antisemitischen Thesen arbeitet, sondern die Schlechtigkeit der Juden unmittelbar optisch und akustisch demonstriert. Ein erhebliches Maß an Denkkraft und bewusstem Widerstand hätte dazugehört um sich der Wirkung zu entziehen, denn die "Propagandakraft jenes Streifens beruhte genau darauf, daß er nicht als Propaganda, sondern als Bild eines Wirklichen auftrat"[1], so Adorno. Wie sehr die Propagandakraft der nationalsozialistischen Jud Süß Adaption bis heute nachwirkt, lässt sich ausgerechnet an den Aussagen eines deutschen Intellektuellen herausarbeiten, der sich mutmaßlich selbst in der Tradition Adornos sieht.
"Das Abstreiten subjektiver Schuldgefühle" so Adorno in Schuld und Abwehr, "die Leugnung der eigenen Schuld und die einer deutschen Schuld überhaupt geht assoziativ, mit kunstvoller Unlogik, ineinander über."[2] Was Adorno über die TeilnehmerInnen des Gruppenexperiments schreibt, trifft rund 50 Jahre später auf weite Teile des Interviews mit Kluge zu. Sobald es um die Frage des Antisemitismus geht, werden zahlreiche Relativierungsstrategien bemüht. Kluge geht sogar so weit, den Antisemitismus von Veit Harlan grundsätzlich in Frage zu stellen:
Die Idee, dass er [Veit Harlan, Anm.] jetzt Antisemit wäre. Ja? Das würde ich erst prüfen. Denn ich kann auch als Nicht-Antisemit diesen Film gemacht haben. Ja? Wenn ich mal dieses Beiwerk vergesse. Ja?[3]Teil antisemitischer Denkstrukturen ist nicht nur der aktive Hass und die Gewalt, sondern auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal jener Jüdinnen und Juden, die der gewalttätigen Ausformung des gesellschaftlichen Klimas, dass Harlan mit Jud Süß bediente und verstärkte, zum Opfer fielen. Eben deshalb kann ein Nicht-Antisemit so einen Film nicht machen. Das "Beiwerk", welches Kluge gerne vergessen möchte, ist der industriell organisierte Massenmord an den Jüdinnnen und Juden.
Alexander Kluge und der Antisemitismus (2): Geschwätziges Schweigen als taktische Relativierung
Alexander Kluge und der Antisemitismus (3): Der getriebene Künstler
Alexander Kluge und der Antisemitismus (4): Aber es gibt keine Antisemiten mehr
Quellen
[1] Adorno, Theodor W., "Schuld und Abwehr", in: Pollock, Friedrich [Bearb.]: Gruppenexperiment. Ein Studienbericht, Frankfurt am Main 1955, S. 331-332.
[2] Ebd. S. 307.
[3] "Interview mit Alexander Kluge" (DVD-Bonusmaterial), Harlan. Im Schatten von Jud Süß, Regie: Felix Moeller, BRD 2008, 0:20.
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