Sonntag, 31. Juli 2011

Alexander Kluge und der Antisemitismus (2): Geschwätziges Schweigen als taktische Relativierung

Im Interview, das der DVD zum Dokumentarfilm Harlan - Im Schatten von Jud Süß als Bonusmaterial beigefügt ist, verharmlost Alexander Kluge den Antisemitismus von Veit Harlan und den nationalsozialistischen Vernichtungswahn. Er bedient sich dafür einer Strategie, die durchaus typisch für jene Form des postnazistischen Sprechens über die nationalsozialistischen Verbrechen ist, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und Österreich kollektiv eingeübt wurde.

In den 1980er Jahren, als auch die TäterInnen - vermittelt durch die Medien Fernsehen und Kino - verstärkt in der Öffentlichkeit über ihre Taten zu sprechen begannen, trat ein Phänomen immer deutlicher zu Tage: Zwar wurde über den Nationalsozialismus gesprochen, die dabei verwendete Sprache diente jedoch der Verschleierung der begangenen Verbrechen. Es wurde nicht mehr nur geschwiegen - die öffentliche Art des Sprechens prolongierte jedoch das Schweigen auf eine geschwätzig verschleiernde Art.

Geschwätziges Schweigen ist eine spezifische Form der taktischen Relativierung des nationalsozialistischen Massenmords. Es ist eine Form des Sprechens, der sich nicht mehr lediglich die TäterInnen selbst bedienen. In den letzten Jahren ist eine Verallgemeinerung dieses Jargons zu beobachten, der auch vor vermeintlich kritischen Intellektuellen nicht Halt macht. Alexander Kluge wendet diesen relativistischen Jargon gekonnt an, wie an dem folgenden Zitat deutlich wird:
Man kann [ihn, Veit Harlan, Anm.] ja erst einmal verurteilen als Nationalsozialisten. Ja? Und dann anschließend fragen: 'Was hat er da gemacht?' Denn manche Nationalsozialisten haben nur Bier getrunken und Schinken gegessen. Ja? Andere haben organisiert und Straßen gebaut und die anderen haben hier Filme gemacht. Und das Schlimme ist, dass sie nicht auf der Höhe der Filmkunst sind. Ja? Und das Schlimme ist, dass sie die Filmkunst nicht in den Dienst von Menschen stellen.[1]
Im ersten Teil dieses Zitates räumt Kluge noch ein, dass man Veit Harlan als Nationalsozialisten verurteilen kann - relativiert diese Aussage jedoch in den darauf folgenden Sätzen. Er spricht von Nazis als Biertrinker, als Schinkenesser und nicht zuletzt – die ehemalige ARD-Moderatorin Eva Herman lässt grüßen – als Straßenbauer. Dass viele auch gemordet haben, lässt Kluge unter den Tisch fallen. Das eigentlich Schlimme ist für ihn nicht der Zusammenhang zwischen Film und Massenmord, sondern dass Jud Süß "nicht auf der Höhe der Filmkunst" gewesen sei. Im letzten Satz wird das davor Gesagte dann in einer Floskel des allgemein menschlichen aufgelöst, die in keinerlei logischer Verbindung zum vorher gesagten steht und der vorbeugenden Kritikabwehr dient.

Was die Stärke des Dokumentarfilms Harlan – Im Schatten von Jud Süß ausmacht - die Montage der Einzelinterviews der zum Teil verfeindeten Familienmitglieder zu einem brüchigen Dialog räumlich getrennter ProtagonistInnen -, ist zugleich die Schwäche des Interviews mit Alexander Kluge. Die NS- und Antisemitismus relativierenden Aussagen von Kluge bleiben unwidersprochen. Ein Konflikt bleibt gänzlich aus, während er in Harlan - Im Schatten von Jud Süß zumindest noch durch die Montage zur Darstellung gebracht wird.

Sprache dient Kluge als Instrument zur Relativierung des nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus. Das NS-Regime wird in seinen Worten zu einem friedlichen Gemeinschaftsprojekt von Film schaffenden, Straßen bauenden und Bier trinkenden Individuen. Die mordenden Massen bleiben ebenso unerwähnt wie die Millionen Opfer des deutsch/österreichischen Vernichtungsantisemitismus.

Alexander Kluge und der Antisemitismus (1): Harlan - im Schatten von Jud Süß
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Alexander Kluge und der Antisemitismus (3): Der getriebene Künstler
Alexander Kluge und der Antisemitismus (4): Aber es gibt keine Antisemiten mehr

Quellen
[1] "Interview mit Alexander Kluge" [DVD-Bonusmaterial], Harlan. Im Schatten von Jud Süß, Regie: Felix Moeller, BRD 2008, 0:47-0:48.


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