Samstag, 6. August 2011

Alexander Kluge und der Antisemitismus (4): Aber es gibt keine Antisemiten mehr

"Aber es gibt keine Antisemiten mehr". Diese Notiz stellten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer an den Beginn des VII. Abschnitts des in der Dialektik der Aufklärung enthaltenen Kapitels über die Elemente des Antisemitismus. Der Satz eröffnet jenen Teil des Kapitels, der dem 1944 geschriebenen Text 1947 angegefügt wurde.

Den Zivilisationsbruch Auschwitz reflektierend, benennt dieser Satz die sich selbst verschleiernde Kontinuität des Antisemitismus. Zugleich transportiert er den Hauch einer Vorahnung einer zum Zeitpunkt des Verfassens erst beginnenden postnazistischen Transformation des Antisemitismus; einerseits in einen Antisemitismus trotz und anderseits in einen Antisemitismus wegen Auschwitz.

Auch für den Veit Harlan verteidigenden Alexander Kluge scheint es keine AntisemitInnen mehr zu geben. Doch er ahnt damit nichts voraus, sondern fügt sich bruchlos in den postnazistischen Konsens ein. Für ihn gibt es - im Unterschied zu Adorno und Horkheimer - im wörtlichen Sinne keine AntisemitInnen mehr. Selbst Veit Harlan, Regisseur eines der antisemitischsten Filme der NS-Zeit, soll keiner gewesen sein.

Kluge hebt die Fähigkeit Harlans zur Einfühlung hervor - insbesondere was den Einsatz des Schauspielers Ferdinand Marian betrifft. Diese Fähigkeit sei - so Kluge - nicht an den Nationalsozialismus gebunden, sondern könnte auch einer anderen politischen Richtung, wobei er im Unklaren lässt welcher, ausgeliehen werden. Das Ergebnis sei zwar nationalsozialistisch, der Künstler Harlan aber politisch nicht einteilbar. Die daran anschließende Frage des Interviewers, ob man kein Antisemit sein müsse um einen Film wie Jud Süß zu drehen, beantwortet Kluge mit einem klaren "Ja".[1] Er relativiert damit sowohl den Antisemitismus Veit Harlans als auch die Verantwortung des Schauspielers Ferdinand Marian.

Kluges Ignoranz den Opfern des kulturindustriell verstärkten Antisemitismus der Nazis gegenüber kann nicht einfach als blinder Fleck abgetan werden. Vielmehr wirft sie einen Schatten auf sein Gesamtwerk und zeigt, dass er eine der zentralen Einsichten Kritischer Theorie nicht teilt: Eine Kritik der Gesellschaft bleibt falsch ohne einer Kritik des Antisemitismus. Sie schlägt notwendig in genau jene Formen von Affirmation um, wie sie in Theorie und Praxis von Alexander Kluge nur allzu oft zu Tage treten und wie sie von seinen ApologetInnen gerne und beharrlich übersehen werden.

Alexander Kluge und der Antisemitismus (1): Harlan - im Schatten von Jud Süß
Alexander Kluge und der Antisemitismus (2): Geschwätziges Schweigen als taktische Relativierung
Alexander Kluge und der Antisemitismus (3): Der getriebene Künstler

Quellen
[1] Vgl. "Interview mit Alexander Kluge" (DVD-Bonusmaterial), Harlan. Im Schatten von Jud Süß, Regie: Felix Moeller, BRD 2008, 0:10.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen