(Alexander Kluge über Veit Harlan)
Eine spezifische Abwehrstrategie im Kunstbereich ist der Rückzug auf die Identität der Künstlerin bzw. des Künstlers. Im konkreten Fall verteidigt Alexander Kluge - seines Zeichens Filmemacher, Jurist und Miteigentümer der Fernsehentwicklungsgesellschaft dctp - den Regisseur Veit Harlan, der für den antisemitischen Hetz-Film Jud Süß und für viele andere nationalsozialistische Filme verantwortlich ist.
Das Politische tritt in Kluges Argumentation in den Hintergrund, da der Blick darauf von einer vorgeblich zeitlosen KünstlerInnen-Identität verdeckt wird:
Dieses Verhältnis zwischen Könnern – ja? - und einer Ma... und der Macht – ja? - ist prekär, seit 2000 Jahren. Und das werden wir nicht durch Vorsätze – ja? - beenden. Was wir beenden können sind diese Machtverhältnisse. Ja? Da ist sozusagen die Aufsässigkeit der Künstler besser untergebracht. Also machen wir doch Gegenfilme und fangen nicht an zu richten dadrüber, hätte er besser getan zu sagen, bescheiden zu sagen: 'nein, den Film mache ich nicht'.[2]Obwohl er eingeladen ist als Film-Experte über Jud Süß zu sprechen, sagt Kluge er wolle nicht richten und entzieht sich so dem Urteil. Zugleich konstruiert er ein 2000 Jahre andauerndes Verhältnis zwischen der Macht und den KünstlerInnen, dessen bruchlose Existenz an sich schon zu hinterfragen wäre. Implizit legitimiert die Erwähnung dieses Verhältnisses den Künstler Veit Harlan und delegitimiert die politische Kritik an seinem Werk.
Betont werden muss in diesem Zusammenhang, dass Jud Süß keinesfalls ein einmaliger Ausrutscher eines ansonsten politisch unbedenklichen Regisseurs war. Harlan führte zwischen 1935 und 1945 bei nicht weniger als 20 Filmen Regie, die zwar nicht ganz so plakativ, bei genauer Betrachtung aber nicht weniger mit NS-Ideologie durchtränkt sind als Jud Süß. Opferbereitschaft, Treue und Todesverherrlichung ziehen sich wie ein roter Faden durch sämtliche während der NS-Zeit realisierten Harlan-Filme. Die Auseinandersetzung damit will Kluge ausschließlich innerfilmisch zulassen. Die Herstellung von Gegenfilmen zieht er der politischen Kritik und der juristischen Verurteilung - die bei Veit Harlan wie bei allen seinen KollegInnen ohnehin ausblieb - vor.
Kluge versucht KünstlerInnen pauschal von der Verantwortung für ihr Handeln freizusprechen: "Und sie [die KünstlerInnen, Anm.] sind nicht Verantwortlich. Ja? Sie sind auch keine Juristen"[3], so Kluges Conclusio nur eine Minute nach der weiter oben zitierten Passage. Er bedient sich eines relativistischen Jargons und vergleicht RegisseurInnen von NS-Filmen u.a. mit MalerInnen, die die Kreuzigung von Jesus Christus darstellen. Es wäre, so Kluges krude Vergleichslogik, ein Blödsinn jenen vorzuwerfen, sie würden durch die Darstellung Beihilfe zur Kreuzigung leisten.
Man müsse sich dagegen verwehren, so Kluge, dass jemand verurteilt würde, weil er politisch nicht passt. Mit gerichtlichen Mitteln gegen Kunst vorzugehen ist, wie Kluge betont, laut deutschem Grundgesetz, Artikel 5.3, verboten. Er gibt zwar zu, dass er es sich durch den Rückzug auf Paragraphen ein bisschen zu leicht macht - verfällt jedoch gleich wieder in den relativistischen Jargon. Als Verteidiger Harlans würde er vor Gericht zunächst eine Konkretisierung der Folgen nachgewiesen haben wollen. Nachdem der Interviewer die unmittelbaren Folgen der Filmvorführungen in den Konzentrationslagern benennt - u.a. den taktischen Einsatz des Films vor Massenerschießungen -, rudert Kluge zurück. Er wechselt die Rolle, wird vom Verteidiger zum Richter und würde nun verurteilen.[4]
Die oben zitierten Passagen zeigen, wie präzise Alexander Kluge den "Jargon der Narrative" (Gerhard Scheit) in diesem etwa 50 Minuten dauernden Gespräch anzuwenden weiß. Schuld wird für Kluge relativ und ist abhängig von der jederzeit wechselbaren Rolle des Richters, Staatsanwaltes oder Verteidigers. Der nationalsozialistische Massenmord und die propagandistische Beihilfe zum Mord durch regimetreue Filmschaffende wie Veit Harlan, wird damit von einem historischen Fakt zu einer Frage der Perspektive.
Alexander Kluge und der Antisemitismus (1): Harlan - im Schatten von Jud Süß
Alexander Kluge und der Antisemitismus (2): Geschwätziges Schweigen als taktische Relativierung
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Alexander Kluge und der Antisemitismus (4): Aber es gibt keine Antisemiten mehr
Quellen
[1] "Interview mit Alexander Kluge" (DVD-Bonusmaterial), Harlan. Im Schatten von Jud Süß, Regie: Felix Moeller, BRD 2008, 0:15.
[2] Ebd. 0:33-0:34.
[3] Ebd. 0:35.
[4] Vgl. ebd. 0:37-0:39.
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