Freitag, 12. August 2011

Über die falsche Gewaltdebatte anlässlich der UK Riots

Am Beginn stand die mutmaßlich rassistisch motivierte Erschießung eines Mannes durch die britische Polizei. Was dann als "Tottenham Riots" folgte, weitete sich nach kurzer Zeit auf Leeds, Birmingham, Liverpool, Bristol, Manchester und andere Städte in England aus. Die Reaktionen von Medien und Politik waren von Anfang an tendenziös. Der folgende Artikel setzt sich exemplarisch mit der Fernsehberichterstattung von BBC World, BBC News, Sky News, ARD und ZDF am 9. August 2011 auseinander.

Als erstes fällt auf, dass die erwähnten Fernsehsender mit wenigen, ständig wiederkehrenden Bildern arbeiten. Am dominantesten sind sicherlich die Aufnahmen von brennenden Häusern, allen voran dem brennenden Möbelhaus in Croydon. Dann hätten wir noch den immer gleichen Steine werfenden Jugendlichen, die passive Polizei sowie das Youtube-Video, das zeigt wie ein verletzter junger Mann von anderen Jugendlichen bestohlen wird.

Kaum zu sehen sind hingegen die Festnahmen, von denen es landesweit bis zum 9. August bereits über 500 (mittlerweile weit über 3000, Stand: 17. August 2011) gegeben haben soll. Ebenfalls nur in wenigen Ausnahmefällen gezeigt werden prügelnde PolizistInnen und andere Ausformungen von Polizeigewalt.

Vergleichsweise großen Raum nehmen PR-Aktionen von PolitikerInnen in der Berichterstattung ein. Die mit Abstand lächerlichste lieferte der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson: Bei einem Besuch in einem von den Straßenschlachten betroffenem Stadtteil wird Johnson von Schutt aufräumenden PassantInnen mit "Were is your broom?" ("Wo ist dein Besen?")-Sprechchören begrüßt. Nach einer kurzen Rückfrage bei einem seiner Begleiter schnappt sich Johnson tatsächlich einen Besen. Selbigen durch die Luft schwingend läuft er ein paar Meter die anlässlich seines Besuchs abgesperrte Straße entlang - eine eher ineffiziente Art Schutt wegzuräumen, aber scheinbar effizient genug um Sky News zu umfassender Berichterstattung zu motivieren. Falls jemand - ähnlich wie Sky News - dem "fetten Andy Warhol" (Dara O'Briain über Johnson) beim Besen schwingen zusehen mag - hier der Link zum Video.

Deutsches Fernsehen

Die Nachrichtenbeiträge im deutschen Fernsehen unterscheiden sich nur geringfügig. heute (ZDF) legt den Schwerpunkt auf das von Tag zu Tag größer werdende Polizeiaufgebot. Die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannte Information, dass Mark Duggan nicht auf die Polizei geschossen hat, bevor er erschossen wurde, wird unterschlagen. Auch das ZDF zeigt das bereits oben erwähnte Youtube-Video, macht ein bisschen Negativ-Schleichwerbung für Blackburry und gibt – wie die englischen KollegInnen – viel Law and Order Bla Bla diverser PolitikerInnen unkritisch wieder. Die ZDF Korrespondentin in London sieht in den Protesten ein Nebeneinander von "frustrierte[n] Jugendliche[n] – Kriminelle[n] und Mittläufer[n]" und spricht generalisierend von "gewaltbereite[n] Banden".

Zumindest etwas differenzierter ist das im Anschluss ausgestrahlte ZDF spezial mit dem Titel "Krawalle in England". Dort wird der Zusammenhang zwischen sozialen Verhältnissen und den Ausschreitung zumindest erwähnt. Allerdings wird – im Unterschied zur BBC und Sky News – stark mit vermeintlichen "Migrationshintergründen" argumentiert und der soziale Konflikt damit indirekt ethnisiert.

Die Tagesschau (ARD) betont die soziale Komponente etwas stärker - im Unterschied zum ZDF wird erwähnt, dass Mark Duggan nicht auf die Polizei geschossen hat. Allerdings werden auch hier lediglich die bekannten - von der BBC bereits ausgestrahlten - Bilder abgespult. Die Polizeigewalt wird weitgehend ausgeblendet.

Der Ruf nach Repression

SpitzenpolitikerInnen der oppositionellen Labour Party sind sich mit VertreterInnen der beiden Regierungsparteien weitgehend einig. Die Einschätzung von David Cameron, wonach die Proteste "Criminality, pure and simple" seien, werden quer durch alle Parteien abgespult und durch die mediale Berichterstattung wieder und wieder reproduziert.

Eine Journalistin auf SKY News fragt einen Abgeordneten warum keine Wasserwerfer, Gummimunition und die Armee eingesetzt werden. Der Abgeordnete nimmt diese Frage – die eher einer politischen Forderung gleichkommt – dankend an. Medien und Politik schaukeln sich gegenseitig auf und produzieren damit eine Rhetorik der einfachen Lösungen, die mit Gewalt auf Gewalt antwortet und die vielfältigen Ursachen für die Proteste unter den Teppich kehrt.

Strukturelle Gewalt

Der latente Rassismus in der britischen Polizei kommt kaum zur Sprache. Ebensowenig die strukturelle Gewalt, die viele Jugendliche immer stärker zu spüren bekommen. Neben der punktuell erwähnten Perspektivenlosigkeit gehören dazu auch sehr konkrete ökonomische Faktoren wie steigende Lebenserhaltungskosten und horrende Mieten in den Städten. Dazu kommt ein erst kürzlich beschlossenes Sparpaket der konservativ-liberalen Regierung. Gespart wird nicht zuletzt in den Bereichen Jugend und Bildung. Studiengebühren wurden flächendeckend festgeschrieben und zugleich signifikant erhöht. Sozial- und Jugendeinrichtungen wurden die Mittel im großen Stil gekürzt.

BBC World und Sky News lassen zumindest punktuell MitarbeiterInnen dieser Jugendeinrichtungen zu Wort kommen. Ihre - ohnehin sehr verhaltenen und sich von den Protesten im vorauseilenden Gehorsam distanzierenden - Stimmen gehen jedoch ebenso wie die wenigen um Differenzierung bemühten KommentatorInnen (auch sie eröffnen ihre Statements zumeist mit einer Distanzierung) unter.

"Creedy crowd" - ein unpolitischer Protest?

Formal unterscheiden sich die Proteste beträchtlich von in geordneten Bahnen verlaufenden Gewerkschaftsaufmärschen mit ihren eingeübten Repräsentationsritualen. Auch die UK Uncut Großdemonstrationen stellen eine gänzlich andere, auf eine gewisse Art ebenso traditionell-repräsentative Form politischen Widerstandes dar. Der aktuellen Jugendrevolte in England fehlen politische Slogans ebenso wie virtuelle Selbstrepräsentation. Es findet keine autonome Pressearbeit statt - die Text- und Bildproduktion wird weitgehend den GegnerInnen der Proteste überlassen.

Es wäre jedoch falsch den UK Riots deshalb das Politische abzusprechen. Ihr Ausgangspunkt war eine Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt – also etwas klar politisches. Was daraus wurde, ist eine Protestbewegung, deren TeilnehmerInnen ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Mehrheitsgesellschaft, die sie defacto abgeschrieben hat, auf vielfältige Art zum Ausdruck bringen.

Sowohl PolitikerInnen als auch die Fernsehnachrichten werden nicht müde zu betonen, die Proteste hätten keinen politischen Charakter. Argumentiert wird dies ausgerechnet mit den Plünderungen von Geschäften, Einkaufszentren und Lagerhäusern. Aber ist nicht gerade die Infragestellung von Eigentumsverhältnissen etwas eminent politisches? Die Antwort auf diese - zugegebenermaßen rhetorische - Frage wusste Pierre-Joseph Proudhon schon im 19. Jahrhundert zu geben, als er den viel zitierten Satz "Eigentum ist Diebstahl" niederschrieb. Denn es ist eine politische Frage, wie gesellschaftlicher Reichtum verteilt ist und ob diese in den Eigentumsverhältnissen zum Ausdruck kommende Verteilung akzeptiert wird.

Die an den UK Riots beteiligten Jugendlichen akzeptieren diese Eigentumsverhältnisse nicht. In einem Leben ohne Perspektiven bleibt ihnen zumindest die Perspektive mit dem erbeuteten Fernseher die sonst ausbleibende Berichterstattung über den eigenen Stadtteil (und über sich selbst) in High Definition zu verfolgen. Das von Medien – nicht zuletzt auch von Nachrichtensendern wie Sky News – oftmals gegebene Partizipationsversprechen wird ernst genommen; ebenso wie das Immersionsangebot von Videospielkonsolen, dass eine temporäre Flucht aus dem tristen und an Perspektiven gesellschaftlicher Teilhabe armen Alltag ermöglicht. Der Luxus für alle, den ein auf Exklusion aufbauendes Gesellschaftssystem verunmöglicht, wird auf individueller Ebene realisiert – quasi eine andere Form des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Umverteilung – im Idealfall von Oben nach Unten (ansonsten ist es bekanntlich umgekehrt).

Rhetorik der Eskalation

Das die UK Riots fast durchgehend als apolitisch dargestellt werden, liegt neben einer aus taktischen Gründen auf Eskalations- und Kriminalisierungsrhetorik setzende politische Elite nicht zuletzt daran, dass es JournalistInnen sehr grundsätzlich an der Fähigkeit zu Empathie und Herrschaftskritik zu mangeln scheint. Die beteiligten Jugendlichen kommen zumeist gar nicht zu Wort und wenn doch hört sich das eher wie ein Verhör und weniger wie ein an den tatsächlichen Motiven der Jugendlichen interessiertes Interview an.

Was mit den wenigen solidarischen Stimmen passiert, konnte man auf BBC News beobachten: Während einer Live-Schaltung benennt der Aktivist und Kolumnist Darcus Howe den Rassismus der Polizei. Zudem verweigert er das obligatorische Distanzierungsritual und wird deshalb promt der Mittäterschaft bezichtigt. Nachdem er sich diese absurde Unterstellung nicht gefallen lässt, beendet BBC-Reporterin Fiona Armstrong das Interview vorzeitig.

Links zu alternativen Medien
Soziale Unruhen in Großbritannien (de.indymedia.org)
Summer of Unrest: an indymedia overview of the 'riots' (indymedia.org.uk)


1 Kommentar:

  1. Super Artikel! Ich frag mich, warum die Leute das einfach so schlucken. Die ganze Berichterstattung ist so offensichtlich manipulativ.

    AntwortenLöschen