Sonntag, 20. November 2011

Das Twilight-Trittbrett

Anlässlich des Kinostarts von The Twilight Saga: Breaking Dawn (oder: Biss zum Ende der Nacht - so der etwas holprige deutsche Titel) hat sich die mediale Präsenz von Vampir-Geschichten wieder einmal signifikant erhöht. Nicht zuletzt deshalb versammeln sich zahlreiche TrittbrettfahrerInnen, die im Windschatten des Twilight-Hypes um mediale Aufmerksamkeit ringen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie kaum in der Lage sind brauchbare Kritik an den Filmen zu formulieren - geschweige denn die ideologischen Wurzeln diverser Vampir-Mythen adäquat zu erörtern.

Vampire in der Medienwissenschaft

Seit Jahren tritt Rainer M. Köppl, Universitätsprofessor am Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, als Vampirologe in Erscheinung. Bereits 2007 durfte er seine Theorien in Die Vampirprinzessin - einem von ARTE, ORF, ZDF sowie mit Geld des österreichischen Bundesministeriums für Untericht und Kunst koproduzierten Doku-Drama - zum besten geben. Vergangenes Jahr veröffentlicht das Buch "Der Vampir sind wir: Der unsterbliche Mythos von Dracula biss Twilight" (Residenz-Verlag).

Richtigerweise ist sein Buch bei Amazon.de nicht als wissenschaftliche Literatur, sondern im Bereich Esoterik kategorisiert. Die einzige bei Amazon gelistete (und zugleich erstaunlich positive) Rezension greift tief in die Schublade sexistischer Klischees. Von diesem Buch könne man "einfach nur begeistert" sein, denn "es geht hier einfach mal ganz sachlich um den Mythos Vampir. Keine romantisch verklärte Autorin mit einem zu hohen Hormonhaushalt versperrt uns die Sicht, sondern ein Vampirologe klärt uns auf", schreibt die Rezensentin.

Betrachtet man Köppls Buch genauer, kommen an der von der Rezensentin behaupteten Sachlichkeit gewisse Zweifel auf. Das beginnt mit seiner recht wahllosen Herumzitiererei von Sigmund Freud über Theodor W. Adorno bis zu Bob Dylan. Was gut klingt und von einer männlichen Berühmtheit gesagt wurde, darf ins Buch, scheint hier das Motto zu sein.

Bemerkenswert ist Köppls Schilderung jener frühkindlichen Erfahrung, die ihn zum Vampirologen werden ließ. Seine Mutter hätte ihn in einem Wohnzimmer in Attnang-Puchheim "auf einem roten Sofa" zur Welt gebracht. Er war eine Frühgeburt "winzig, halb tot und halb blind". Der Arzt - erinnert sich Köppl - "wollte mich mit Blaulicht ins Krankenhaus bringen lassen, aber meine Muter wollte mich nicht der Apparatemedizin anheimgeben. So habe ich überlebt."

Auf seinem Facebook Profil ist Köppl Fan des strukturell antisemitischen Zeitgeist Movement. Am 1943 gegründeten Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft hat damit scheinbar niemand ein Problem.

Vampire in der Zeitung

Den Start des neusten Twilight Streifens nimmt Köppl zum Anlass sich von der Gratiszeitung HEUTE - mit einer Knoblauchknolle bewaffnet - in den Katakomben des Stephansdoms ablichten zu lassen. Der Oberösterreicher Köppl wurde von der Zeitung zum "Wiener der Woche" gewählt.

Die Journalistin Lisa Steiner, die erst kürzlich durch eine Reihe emotionalisierender Artikel gegen das besetzte (und mittlerweile geräumte) Epizentrum in Wien-Neubau auffiel, ist voll des Lobes für den Vampirologen (und Wiener!). Sie fasst Köppls These dankenswerter weise so brilliant zusammen, dass ich mir selbiges ersparen kann:
"Dracula, so hat der Vampirologe übrigens herausgefunden, hätte eigentlich Österreicher werden sollen. Autor Bram Stoker wollte sein berühmtes Werk nämlich in der Steiermark spielen lassen, nicht in Rumänien."
Am Ende des Artikels wird darauf hingewiesen, dass HEUTE "300 Karten für den neuen Twilight-Film" verlost. Köppls studentische Fans werden sich darüber freuen: Werbung für den Lieblingsprofessor, Werbung für den Lieblingsfilm und sogar ein Wien-Bezug konnte hergestellt werden!

Vampire im Fernsehen

Am 11. und am 20. November wiederholte ATV die bereits mehrere Monate alte Dokumentation "Von Vampiren und Dämonen", in der Köppl als Vampirexperte auftritt und seine Steiermark-These im Rahmen eines Ausfluges mit einer Esoterikerin zu propagieren versucht. Scheinbar glaubt man nicht einmal bei ATV an diese Theorie, weshalb man erst kürzlich eine noch absurdere Doku zum Thema produziert hat - ohne auf die Steiermark-These auch nur mit einem einzigen Wort einzugehen.

"Vampirjäger" handelt - wie der Name dieser ATV Die Reportage Ausgabe erahnen lässt - von selbsternannten österreichischen VampirjägerInnen, die nach Rumänien auf Gruselurlaub fahren. Dort besuchen sie das Schloss Draculas und einen dunklen Wald, in dem immer wieder Menschen spurlos verschwunden sein sollen. Ein Schicksal, das sowohl den österreichischen VampirjägerInnen als auch dem ATV-Team erspart geblieben ist.

Darüber hinaus wird das Publikum über die - nach Darstellung von ATV - rückständigen Ost-RumänInnen, ihre Exorzismus-Rituale und Leichenschändungshobbies aufgeklärt. Die Expertise kommt dieses mal nicht von Köppl, sondern von dem "Exorzist und Dämonologen" Thomas Kovacs. Außerdem darf sich mit Hagen Schaub – dem Autor von "Blutspuren - Die Geschichte der Vampire. Auf den Spuren eines Mythos" eine weitere Vampirologie Ich-AG dem Publikum präsentieren. Beide haben (noch) keine Professur am Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft.

Vampire in der Kritik

Stephenie Meyer, die Autorin der Twilight-Romane ist Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und schafft es so ziemlich jeden ihrer lustfeindlichen mormonischen Lebensgrundsätze Teenager-tauglich in die Handlung der Vampirsaga einzuweben. Die Ablehnung von Sex vor der Ehe ist lediglich eine von vielen reaktionären Ideologien, die durch Twilight propagiert werden. Es handelt sich um einen regelrechten Kanon der Enthaltsamkeit, der sich auf nahezu alle Lebensbereiche erstreckt.

Selbst der eheliche Sex ist nicht unbedingt ein Vergnügen, sondern erinnert eher an eine Vergewaltigung. Es ist in Ordnung, suggeriert Meyer, wenn Hauptfigur Bella (im Film von Kristen Stewart gespielt) morgens aufwacht und ihr Körper voller Blessuren ist. Den Männern wird - egal ob Vampir oder Werwolf - eine naturhafte Tendenz zu (u.a. sexistischer) Gewalt unterstellt, die sie nur mittels kräftezehrender Triebunterdrückung fallweise zu bändigen in der Lage sind. Der Fakt, dass die Werwölfe allesamt amerikanische Ureinwohner sind, fügt dem noch eine rassistische, sowohl an die koloniale Projektion des "edlen Wilden" als auch an die des "primitiven Barbaren" andockende, Note hinzu.

Die oben genannten TV- und Printformate und nicht zuletzt die erwähnten Einzelpersonen vereint die Unfähigkeit, eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Vampir-Mythos im Allgemeinen und mit Twilight im Besonderen zu bewerkstelligen. Dabei wurde eine solche Kritik schon des öfteren – nicht nur von linker, sondern sogar von christlich-konservativer Seite - formuliert. Auch Kritik an der (zumeist homophoben und sexistischen) Pseudo-Kritik an Twilight findet statt. Explizit hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf "The Real Reason Guys Should Hate Twilight" von Anita Sarkessian, die auf ihrem Feminist Frequency Vlog den Unterschied zwischen falscher rund richtiger Kritik an Edward herausarbeitet.

Vampire in der Aufmerksamkeitsökonomie

Medien - egal ob Print oder TV - suchen leider nur in den seltensten Fällen nach gesellschaftskritischen ExpertInnen. Stattdessen geht es um die schnelle Sensation, mit der sich auf den jeweils aktuellen Hype aufspringen lässt. Ernstzunehmende WissenschaftlerInnen kommen kaum zu Wort, während den immer gleichen SchaumschlägerInnen (bei denen es sich größtenteils um Männer handelt) mit ihren steilen Thesen umfassende Plattformen geboten werden.

Diese Kritik zielt keineswegs nur auf HEUTE oder ATV ab. Gerade das Medienphänomen Rainer Maria Köppl ist Produkt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und wird von den oft (zu recht!) gescholtenen Privaten lediglich dankbar aufgegriffen. Menschen die - wie die UrheberInnen der zwei Absätze weiter oben verlinkten Artikel und Videos - tatsächlich etwas substanzielles zu sagen hätten, gehen in solchen Aufmerksamkeitsökonomien zumeist unter.

Auch im akademischen Bereich scheint sich - zumindest an der Universität Wien - der sensationalistische Ansatz immer mehr durchzusetzen. Köppl ist zwar primär dank seiner Definitivstellung (aus dem längst vergangenen Zeitalter der akademischen Pragmatisierung) defacto unkündbarer Universitätsprofessor. Wer jedoch vermutet sein Verhalten würde ihn am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft zu einer auf die Pensionierung wartende Randgestalt machen, liegt falsch. Erst vor kurzem wurde er dort zum Studienprogrammleiter befördert. Was er in dieser Funktion so macht, kann man u.a. hier nachlesen.


2 Kommentare:

  1. Ich finde ja Twilight strunzlangweilig.... Hab mir den ersten Teil im Fernsehen angeschaut und konnte schon nach kurzer Zeit das Geseier kaum noch aushalten. ein Klischee reihte sich an das nächste. Die Story hat nix Orginelles....

    In diesem Sinne könnte man meinen, dass die Trittbrettfahrer es besser machen. Doch die Erfahrung sagt leider: schlimmer geht immer :(

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  2. Korrektur: Studienprogrammleitung ist keine Beförderung. Die SPL koordiniert die Lehre und Umsetzung der Curricula in konkrete Lehrveranstaltungen. Man kann es nicht anders sagen: eine Scheißhackn für die einem keiner dankt und die alle Forschungszeitbudgets auffrisst. Der Job ist so beliebt, dass Rainer Köppl vom Dekanat daraus nicht entlassen wird, gegen seinen Wunsch, weil ihn sonst keiner machen will der ihn machen dürfte. Aus meiner persönlichen Sicht: Er hat aus der Wurstelkiste SPL eine effiziente Serviceeinrichtung gemacht, u.a. indem Informationen endlich stets up to date in Netz zu Verfügung gestellt werden und der MitarbeiterInnenstab koordiniert neu aufgestellt wurde. Ich würde mir sehr wünschen, dass er weiter dran bleibt. Was die Vampirologie angeht: Kann man sich als Vampirologe bezeichnen ohne das ironisch zu tun? Ich denke nicht, ihr seht das offenbar anders. Alles Gute: Jana aka digiom.

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