Montag, 21. November 2011

Keine Österreich-Beschimpfung

"Ihr Österreicher habt uns da mal einen rübergeschickt, der uns Ordnung beigebracht hat", meinte der Rapper Sido im Zuge der ORF-Werbehahn-Gala. Noch seltsamer als diese Aussage ist die Medienberichterstattung, die das Gesagte als "Österreich-Beschimpfung" interpretiert.

Der erste Teil des kritisierten Satzes ist eine Tatsachenbeschreibung. Der zweite Teil entweder eine etwas misslungene Kritik am Begriff „Ordnung“ oder eine ziemlich jenseitige, den Nationalsozialismus verharmlosende und nicht zuletzt demokratiefeindliche, Verbal-Entgleisung. Letzteres - also die Sache mit der Demokratiefeindlichkeit - würde allerdings voraussetzen, dass sich Sido mit den politischen Verhältnissen in der Weimarer Republik auseinandergesetzt hat und zum Schluss gekommen wäre, Hitler hätte diesbezüglich "Ordnung gebracht". Richtiger wäre die Aussage dadurch trotzdem nicht.

Sido liefert sich auf Twitter einstweilen einen verbalen Schlagabtausch mit Online-Standard Redakteurin Katrin Burgstaller (siehe Screenshot). Aufgrund der Berichterstattung beschimpft er sie und die Redaktion als "Schweine" und "Idiotenpack".

Doris Priesching meint in der Standard-Printausgabe, Sido stelle mit der Aussage sein Talent zur kalkulierten Provokation unter Beweis und es ginge ihm nur um die Quote für sein neues ORF Castingshow-Format Blockstars. Das mag eine weitere mögliche Lesart von Sidos Äußerung sein – die Problematik des Artikels liegt aber wo anders. Denn auch Priesching reproduziert die Vorstellung, es handle sich um eine "Österreich-Beschimpfung" und illustriert dies anhand eines Beispiels, wie man es unpassender nicht wählen könnte:
"Österreich-Beschimpfung kam noch nie gut an, wir erinnern an Alfons Haider, der Österreich als 'verschissenes und verlogenes Land' bezeichnete und über den sich medial Pech und Schwefel ergossen."
Den Kontext des Zitates wird von Priesching verschwiegen. Deshalb an dieser Stelle die Transkription von Alfons Haiders Aussagen, die er im Jänner 2010 in Willkommen Österreich (ORF eins) tätigte:
Alfons Haider: Es ist mir lieber ich werde auf meine Optik reduziert, als auf meine Sexualität. Weil ich hab mit meiner Sexualität nie gespielt oder Punkte sammeln wollen. Das geht mir wirklich am Arsch.
Christoph Grissemann: Ja. Aber du hast schon... Du hast dich ja geoutet und auch aus diesem Outung natürlich relative Öffentlichkeit geschaffen.
Alfons Haider: Wahnsinnig! Ein Jahr alle Jobs verloren. Vom ORF heraus geschmissen worden...
Dirk Stermann: [unterbricht] Aber warum? Ich versteh das nicht ganz?
Alfons Haider: Weil wir in einem verlogenen, verschissenen Land leben in dem wir...
Dirk Stermann: [unterbricht] Wirklich? Aber das ist ja schon 10 Jahre her, oder?
Alfons Haider: Das ist 12 Jahre her. Aber es ist heute so: Wir leben in einem Land, wo wie in keinem anderen mitteleuropäischen Land - katholisch - so viele Frauen und Kinder verprügelt werden und dieses Gfrasta schauen alle zu. Wir leben in einem Land, wo Flüchtlinge wie Tiere behandelt werden - wieder ausgesiedelt werden. Das ist alles dieses coole, wunderbare Österreich. Aber ich liebe es trotzdem – aber nicht das.
Christoph Grissemann: Wenn du gewusst hättest was passiert, nach deinem Outing. Wenn du das gewusst hättest - also wie du sagst: Job verloren. Würdest du es heute noch mal machen?
Alfons Haider: Ich darf dir sagen, warum ich es nicht noch einmal machen würde: Weil meine Mutter geschlagen wurde und eine gebrochene Rippe hatte, weil der Bua eine 'schwule Sau' ist. Das ist auch dieses Land. Und da muss ich mir 10 Jahre später vorwerfen lassen, ich hab damit punkten wollen. Also das brauch ich mir wirklich nicht...
Christoph Grissemann: [unterbricht] Deine Mutter wurde auf offener Straße geschlagen?
Alfons Haider: Meine Mutter wurde auch; wie ich - das man mich haut ist OK - aber das man meine Mutter da auch erwischt und haut, das ist einfach wirklich nicht korrekt.
Christoph Grissemann: Nö.
Alfons Haider: Es waren zwei. Einer hat natürlich – wie das typisch österreichisch ist – gehalten. Einer hat hingehaut. Und auf Frage der Anzeige bei der Polizei habens gesagt 'Bitte machens keine Anzeige und gar kein Aufsehen, weil das wird so viele Wiederholungstäter holen. Danke.'
Christoph Grissemann: Ja.
Alfons Haider: Also in diesem Sinne bleib ich weiter die 'schwule Sau', find's auch toll, dass es Späße darüber gibt - es geht mir mittlerweile da hinein [deutet auf sein linkes Ohr] und da hinaus [deutet auf sein rechtes Ohr].
Sowohl bei Sidos Äußerungen und noch viel mehr bei denen von Alfons Haider fungiert das Label "Österreich-Beschimpfung" als Abwehr-Mechanismus (ähnlich übrigens wie die Zuschreibung "Nestbeschmutzer[In]"). "Hitler soll Österreicher gewesen sein – was für eine Verleumdung", so die Logik der Empörung. Der zweite Teil des Satzes wird hingegen ignoriert, obwohl er um einiges Anschlussfähiger an die österreichischen Verhältnisse - dem permanenten Verlangen nach Ordnung und einem starken Führer, der selbige herstellen soll - ist. Die Reaktionen auf Sidos Äußerung sagen ähnlich viel über das postnazistische Österreich aus, wie eine korrekte und vollständige Zitation Alfons Haiders über Homophobie, Rassismus und Sexismus in diesem Land. Ignoriert wird beides gleichermaßen.

In puncto Sido gelang es übrigens wieder einmal Wolfgang "Scheiß-Internet" Lorenz, den Vogel abzuschießen. In einer Aussendung verteidigt er Sidos Äußerung als "Versuch des Künstlers, die Stimmung auf der Tanzfläche zu heben". Die überwiegende Zahl der Anwesenden, so Lorenz weiter, hätte "diese Ironie auch erkannt".

Siehe auch:
"Du kennst die Wiener Verhältnisse nicht" - Eine (unfreiwillige) Mediensatire in vier Akten




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen