Montag, 2. Januar 2012

"Most of the world is grim" - Karl Pilkingtons Weltreisen

Das Publikum der Reise-Doku-Reihe An Idiot Abroad (Sky1) erfährt so gut wie nichts über die bereisten Länder, dafür um so mehr über die Projektionen des Reisenden und seiner Auftraggeber.

Dank der Ricky Gervais Show hat es Karl Pilkington, ein aus einfachen Verhältnissen stammender Nordengländer, zu erstaunlicher Prominenz gebracht. Er wird in An Idiot Abroad - vom wenig schmeichelhaften Titel der Serie erfuhr er erst am Ende der Dreharbeiten - auf Reisen geschickt. Die Reisen planen Ricky Gervais und Stephen Merchent, die als Schöpfer der Mockumentary-Sitcom The Office (BBC) reich und berühmt wurden.

Gervais und Merchant kommen aus der (sub-)urbanen Mittelschicht und haben studiert. Merchant an der University of Warwick, Gervais am University College London. Pilkington hingegen ist Schulabbrecher. Für das Verhältnis der drei zueinander ist sowohl der - zumeist unausgesprochene - Klassenkonflikt als auch das daraus resultierende Bildungsprivileg konstitutiv.

Ausgespielt wurde diese Konfliktkonstellation erstmals in The Ricky Gervais Show, einem mittlerweile über 300 Million mal heruntergeladenem Podcast, der seit einigen Jahren auch als Zeichentrickserie auf HBO läuft.

Die Reisen der Anderen

In An Idiot Abroad muss Pilkington von Gervais und Merchant zusammengestellte Reisen absolvieren. Es sind Reisen in zumeist sehr arme Länder, wie sie nicht selten linken und alternativen Studierenden zur identitären Selbstvergewisserung verhelfen (vgl. "Postkoloniales Reisen", Unique 06/2010). Indien, Brasilien, Australien, Mexiko - am besten Low-Budget, vermeintlich nah dran an den Einheimischen und möglichst abseits des verpönten Massentourismus.

Pilkington wird auf die Reisen jugendlicher RucksacktouristInnen geschickt, die Gervais und Merchant - wie viele Studierende aus der Mittelschicht - in ihrer Jugend selbst absolviert haben. Er wäre wohl von sich aus nicht auf die Idee gekommen, derartige Reisen anzutreten und seine Projektionen in die bereisten Länder sind gänzlich andere als die der studentischen RucksacktouristInnen auf ihrer Suche nach vermeintlicher Authentizität. Hier reist eben nicht der studentische Rucksacktourist, sondern der nordenglische Schulabbrecher, der eigentlich nie aus England raus wollte, nun aber von Gervais und Merchant in die entferntesten Destinationen geschickt wird.

Die dramaturgische Klammer in der ersten Staffel bilden die "New7Wonders of the World". In der zweiten Staffel ist es die "Bucket List" - bezogen auf diverse im Internet kursierende Listen auf denen Menschen Dinge vermerken, die sie tun wollen, bevor sie sterben.

It's not a Great Wall - It's an alright Wall

Pilkington setzt sich weniger mit Geschichte und Sehenswürdigkeiten auseinander als mit Fragen wie, warum es in Rio de Janeiro so laut ist und chinesische Toiletten so spartanisch sind, obwohl - und das ist einer seiner typischen Einwände - der Ipod aus China kommt. An der Chinesischen Mauer meint er: "It's not a great wall - It's an alright wall - it's The Alright Wall of China".

Es bleibt allerdings nicht beim Besuch der durch die Bucket List oder durch die Weltwunder vorgegebenen Orte. Tatsächlich spielen selbige in den An Idiot Abroad Folgen eine untergeordnete Rolle.

Letztlich handelt es sich sowohl bei den Weltwundern als auch bei der Bucket List um einen Vorwand, der lediglich das ungefähre Reiseziel vorgibt. Oftmals werden die vereinbarten Reiserouten kurzfristig verändert und Pilkington auf sowohl abenteuerliche als auch unangenehme Trips geschickt, bevor er den Bucket List Eintrag absolvieren darf oder das Weltwunder - von dem er zumeist ohnehin nur mäßig bis überhaupt nicht begeistert ist - zu Gesicht bekommt. Da ist dann schon mal Arbeit in einem Entwicklungshilfe-Projekt in Diepsloot, einem Township im Norden von Johannesburg, ein wichtiger Teil des Programms. Oder Pilkington muss gefrorene Exkremente entsorgen - so geschehen bei seiner Reise zum nördlichsten Punkt von Alaska.

Karneval der Projektionen

Die bürgerlichen Projektionen von Gervais und insbesondere Merchant, wonach Reisen den Menschen intellektuell weiterbringe und den individuellen Horizont erweitere, werden von Pilkington einem gnadenlosen Reality-Check unterzogen. Seine eigenen Projektionen sind wiederum die des provinziellen "Little Englanders", der bisher kaum aus Großbritannien - geschweige denn aus Europa - herausgekommen ist.

Was ich daran spannend finde ist, dass hier jemand auf Reisen geschickt wird, der die studentischen Projektionen (also im konkreten Fall die von Merchant und Gervais) in diese Länder aufgrund seines Workingclass-Backgrounds nicht teilt, sondern genau genommen überhaupt kein Interesse daran hat, dorthin zu fahren. Gervais und Merchant - die für die Reiseplanung zuständig sind - machen Pilkington quasi zum Zwangs-Rucksacktouristen, der sich (mutmaßlich) ihre und nicht seine eigenen Träume erfüllt, wodurch ein doppelter Verfremdungseffekt eintritt.

Allerdings drängt sich genauso der Eindruck auf, dass Gervais und Merchent mit Karl Pilkington das gleiche wie Sat.1, RTL und ATV mit den TeilnehmerInnen von Reality TV Formaten machen. Jemand der das nicht erwartet, wird zur Belustigung des Publikums immer wieder in Extremsituationen gebracht. Ist Karl Pilkington also lediglich die britische Version von Daniela Katzenberger und Konny Reimann?

Religion und Esoterik

Abgesehen von dem Aufeinanderprallen von Projektionswelten, macht die satirische Auseinandersetzung mit Religion und Esoterik An Idiot Abroad sehenswert. Egal ob es sich um einen Inder handelt, der aus spirituellen Gründen seit Jahren einen Arm in die Höhe hält, die Fans der Christusstatue in Rio de Janeiro, einen gewaltbereitem buddhistischen Mönch in Japan oder einen "Free Hugs"-Hippie an der Route 66. Pilkingtion kann dem rein gar nichts abgewinnen und im vollen Bewusstsein dessen, setzen ihn Merchant und Gervais - beide überzeugte Atheisten - immer wieder solchen spirituell angehauchten Situation aus.

Pilkington hat einen sehr Esoterik-Resistenten, religionskritischen Blick. Nicht mehr als die Feststellung "That to me is ridiculous!" fällt ihm zu jenem Mann ein, der seit Jahren seinen rechten Arm in die Höhe hält. Mutmaßlich liegt er damit richtiger als die zahllosen jungen Indien-Reisenden, die in derart auffälliges Sozialverhalten einen tieferen Sinn hineinprojizieren.

An Pilkingtons Haltung hat sich auch nach insgesamt 14 Fernreisen wenig geändert. Dem Publikum empfiehlt er am Ende der zweiten Staffel: "Don't piss arse about travelling, getting jet lag, eating food you don't like. Shut your eyes and imagine stuff." An "Most of the world is grim", Karls Einschätzung am Ende der ersten Staffel, hat sich also wenig verändert.

An Idiot Abroad
Sky1 2010-2011
16 Folgen (in 2 Staffeln)
Erschienen auf DVD


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