Donnerstag, 13. September 2012

Genug von Anne Frank - Trachten, Heimat und Schlussstrich im Club 2

"Heimat im Herzen - Scheiße im Hirn" lautet ein Slogan, der gelegentlich auf antifaschistischen Demonstrationen skandiert wird. Dass diese Einschätzung alles andere als falsch ist, konnte man am 12. September 2012 im Club 2 (ORF 2) beobachten.

Viel halb-lustige Heiterkeit und wenig Tiefgang. Eine Beschreibung, die auf die meisten Ausgaben des vor einigen Jahren wiederbelebten Club 2 zutrifft. Der aktuelle trug den Titel "Daham is Daham - kommt ein neues Heimatfeeling?" und zeigte in vielerlei Hinsicht auf, was der Begriff "Postnazismus" zu fassen versucht.

Kann man über Aussagen wie, Trachten seien unproblematisch, weil auch Leute aus Timbuktu auf dem Oktoberfest mit Lederhosen feiern (0:08), noch schmunzeln, hat das wiederholte Herbeizitieren jüdischer Kronzeugen für postnazistische Trachten-Folklore, einen sehr bitteren Beigeschmack. Elsbeth Wallnöfer, von der Club 2 Redaktion als "Philosophin und Trachtenexpertin" referenziert, argumentiert genau so, dass man sich die Tracht selbstbewusst aneignen müsse. Fragt sich nur, ob es wirklich ein Argument für besagte Kleidungsstücke ist, wenn sie eine solche Rechtfertigung notwendig machen:
"Das ist ja das schöne an der Demokratisierung der Gesellschaft, das alles möglich ist. Ein Schwarzer darf's tragen. Früher war das nicht so. Ein Jude darf das auch tragen, wie der Miguel Herz-Kestranek, der Schauspieler, der bewusst sagt: 'Ich lass mir das nicht nehmen. Ich trage das jetzt'." (0:12)
Danach springt Wallnöfer zurück in die 1920er Jahre und betont, man hätte das Dirndl damals ganz entspannt getragen, sogar in "Hollywood". Das Wort "entspannt" fällt überhaupt sehr oft in diesem Club 2. Es sei ein entspannter Umgang gewesen, so Wallnöfer weiter "und vielleicht kommen wir wieder dahin".

Auch die Germanistin Daniela Strigl bemüht Jüdinnen und Juden als KronzeugInnen für die Tracht:
"Man verbindet automatisch die Tracht, wenn man jetzt in die Vergangenheit schaut, mit Nazis oder Deutschnationalen oder Heimattümelei. Aber die Tracht wurde ja in den 1930er Jahren und auch schon früher, von den Juden getragen, die auch im Salzkammergut auf Sommerfrische waren." (0:23-0:24)
Sie fügt hinzu, dass die Nazis Jüdinnen und Juden das Tragen von Trachten verboten haben. Daraus macht Strigl jedoch ein Argument für die Aneignung von Dirndln und Lederhosen, wobei sie im Unklaren lässt, wer genau sie sich denn jetzt - im Jahr 2012 - aneignen soll. Jüdinnen und Juden? Linke bis unpolitische EnkelInnen und UrenkelInnen von Wehrmachtssoldaten und Nazis? Alle Menschen auf der Welt? Ähnliche Fragen kann man in Bezug auf Strigls Verweis auf Theodor Kramer stellen, dem "jüdischen Heimatdichter (...), der es im Exil nicht ausgehalten hat", wie sie betont (0:36-0:37). Strigls Conclusio, es gäbe verschiedene Versionen von Heimat und erst "wenn man [wer?] anderen Leuten etwas vorschreibt", werde es problematisch, wirkt dann ziemlich abgelöst vom zuerst aufgemachten Kontext um Kramer. Auch hier wäre zu fragen: Sollen sich die EnkelInnen und UrenkelInnen von Nazis und Wehrmachtssoldaten den Begriff "Heimat" positiv aneignen, weil Menschen, die vom NS-Regime ins Exil getrieben wurden, Österreich keineswegs von sich aus verlassen wollten? Eine sehr dubiose Argumentation aus dem Mund einer Germanistin.

"Was ist dran an der neuen Heimatliebe?"*

Als es um Trachten und Fremdenfeindlichkeit geht, lässt Zabine - aktuell Jurorin der Castingshow Die große Chance (ORF eins) - zum ersten mal aufhorchen:
"Wenn man ein unangenehmes Gefühl hat, wenn man eine Lederhose sieht, soll man's halt nicht Anziehen oder sich auch nicht dort Aufhalten, wo sich dann die ganzen Lederhosenträger aufhalten." (0:29)
Was soll das jetzt heißen? Sollen sie - die da aus welchen Gründen auch immer "ein unangenehmens Gefühl" haben - aus Österreich verschwinden? Sich nicht in Tirol, dem Salzkammergut oder Kärnten aufhalten? Oder nur Trachtenpärchenbälle und Kirtage meiden? Wie so oft fragt Modaratorin Eva Rossmann nicht nach, bittet um keine Konkretisierung des soeben Gesagten.

Später wird Zabine selbst konkreter - wenn auch zu einem anderen Thema. Auf die Frage von Rossmann, wie Trachten zur Re-Etablierung überkommener Frauenbilder beitragen, gibt sie eine biologistische Antwort, bei der wohl jeder ernstzunehmenden GenetikerIn die Haare zu Berge stehen würden:
"Ich glaube, es ist ganz einfach in den Genen, dass Frauen sich einfach einmal verantwortlich fühlen für ihre Kinder (...), dass sie sich auch verantwortlich fühlen für das, was Daheim auf den Tisch kommt." (0:49)
Während das behauptete Fürsorge- und Küchen-Gen in seiner Skurrilität wenigstens noch komödiantisches Potential beinhaltet, vergeht einem wenige Minuten später das Lachen, als Zabine zu Nationalsozialismus und Shoah Stellung nimmt:
"Tschuldigung, wie soll man das Verarbeiten? (...) Wenn man das zehnte Anna Frank [sic!] Buch liest, dass man dann irgendwann einmal weiß, was war und das man das, sich denkt, wenn ich jetzt noch eins lese, dann bringe ich mich um. Ist das... Muss das so sein, dass ich ein schlechtes Gewissen hab? Heute noch?" (0:57)
Es ist schwer zu sagen, an welchem Punkt man beginnen soll, dieses Statement zu kritisieren. Die größte Menschenverachtung in diesen Sätzen ist zweifellos die gegenüber Anne Frank, die keine zehn Bücher geschrieben oder gar publiziert hat. Aus ihrem Tagebuch, mutmaßlich die einzigen Texte von ihr, die Zabine gelesen hat, erfährt man eben nicht "was war". Die Autorin wurde von dem österreichischen Nazi Karl Josef Silberbauer deportiert und in weiterer Folge ermordet. Menschen, die ihr Tagebuch gelesen haben, wissen, dass sie den letzten Eintrag vor der Deportation geschrieben hat. Auch wenn "Das Tagebuch der Anne Frank" ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument ist, kann dessen Lektüre und eine Beschäftigung mit Franks Biographie - vielleicht meint sie das mit den zehn Büchern? - eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinem Fortwesen in der postnazistischen Demokratie – zumal in Österreich – nicht ersetzen. Zabines anfängliche Frage, wie man etwas wie die industriell organisierte Massenvernichtung von Millionen Menschen verarbeiten soll, mag noch irgendwie gerechtfertigt sein. Diese Frage in eine "Im Hause des Henkers spricht man nicht vom Strick - sonst hat man ein schlechtes Gewissen"-Logik münden zu lassen, ist jedoch sicher der falsche Ansatz.

Die Historikerin Shulamit Volkov schrieb einst einen für die Antisemitismusforschung noch heute kanonischen Text mit dem Titel "Antisemitismus und Antifeminismus. Soziale Norm oder kultureller Code". Während Volkov die parallele historische Entstehung von modernen Antisemitismus und Antifeminismus im 19. Jahrhundert beschreibt, liefert Zabine ein Beispiel eines postnazistischen, sekundären Antisemitismus in Kombination mit Pseudo-biologisch inspiriertem Antifeminismus.

"Kommt ein neues Heimatfeeling?"*

Ein guter Zeitpunkt, um die eigentliche Frage des Club 2 - "Kommt ein neues Heimatfeeling?" - zu beantworten. Offensichtlich kommt es. Aber letztlich hat es dann doch erschreckend viele Schnittmengen mit jenem aus der alles andere als guten alten Zeit. Dieter Chmelars zu Beginn geäußerte Einschätzung, Heimat sei ein zu wichtiger Begriff, um ihn den Rechten zu überlassen (0:05), wird noch in der selben Sendung Lügen gestraft. Richtiger wäre vielmehr: Begriffe wie Heimat muss man den Rechten überlassen. Denn dort gehören sie hin.

Auffällig ist - abgesehen von all den zitierten Äußerungen - nicht zuletzt das Fehlen einer grundsätzlichen Gegenposition in dieser Diskussionsrunde. Niemand stand Trachten oder dem Konzept "Heimat" gänzlich ablehnend gegenüber. Das ist bezeichnend für das politische Selbstverständnis der Club 2 Redaktion. Die Kritik an der oftmaligen Einladung von Personen aus dem rechtsextremen Dunstkreis in die Sendung, wird gerne mit dem Schlagwort "Ausgewogenheit" abschmettert. Dabei schafft es die Redaktion selbst auf vielen Ebenen nicht, diesen Anspruch auch nur ansatzweise einzulösen. Auch in den Club 2 vom 12. September war ein - wenn auch ehemaliger - Politiker der FPÖ eingeladen. Er wäre der einzige Parteienvertreter gewesen, hat seinen Auftritt jedoch kurzfristig abgesagt. Ein Gegner des "Heimatfeelings" wäre er wohl nicht gewesen - weder des neuen, noch des alten.
_______
*Aus dem Einladungstext der Club 2 Redaktion.


5 Kommentare:

  1. wie die meisten texte auf diesem blog ist auch dieser eine treffende analyse. trotzdem muss ich kritik anbringen. dieter chmelar kommt eindeutig zu gut weg. erst bezieht er sich positiv auf simon wiesenthal. wenig später folgt eine lobrede auf bruno kreisky. dabei unterschlägt chmelar, dass kreisky in seiner regierung mit dem nazi und mutmaßlichen kriegsverbrecher friedrich peter kooperiert hat. außerdem hat der kreisky, den chmalar so lobt, eine regelrechte hetzkampagne gegen wiesenthal losgetreten, als der die nazis in der fpö als solche benannt hat. ich will die sozialen errungenschaften der kreisky-zeit nicht in abrede stellen. trotzdem darf man chmelars einseitige verklärung nicht unkommentiert stehen lassen. gerade wenn es um das thema postnazismus geht.

    AntwortenLöschen
  2. Es ist schon richtig. Die Aussagen von Zabine und der Fakt, dass so jemand in der Jury einer ORF-Unterhaltungsshow sitzt, sind schlimm. Noch schlimmer ist aber, dass die Club 2 Moderation nach so einem Statement nicht eingreift.

    Das war auch im Club 2 zum WKR Ball so: Ariel Muzicant erzählt von seinen durch die Nazis ermordeten Verwandten. Ein rechtsextremer Burschenschafter im Studio unterbricht ihn und sagt, seine Verwandten haben es auch schwer gehabt. Sie wurden 1945 aus dem Osten vertrieben. Moderatorin Eva Rossmann wirft den Burschenschafter nicht hinaus. Eva Rossmann weißt ihn nicht zu recht. Eva Rossmann sagt zu dem Burschenschafter (sinngemäß): "Das ist ein anderes spannendes Thema. Leider haben wir jetzt keine Zeit dafür."

    Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte!

    AntwortenLöschen
  3. die ganze zeit war ich mir nicht sicher woher ich diese "zabine" kenn. gegoogelt und siehe da: http://www.youtube.com/watch?v=fK4RBfVhFDc

    eine opportunistin reinsten wassers.

    AntwortenLöschen
  4. Ich liebe Trachten, so viel zum Thema Liebe

    AntwortenLöschen
  5. beim "10. Anne Frank Buch" würd ich eigentlich annehmen, dass es um das 10.Buch ÜBER (das Tagebuch der) Anne Frank ging. War das absichtliches Missverstehen?

    "Mein Freund, der Jude" ist keine Legitimation. Da legitimiere ich mich schon selber. Aber (bzw. und) es gibt sehr wohl BewusstseinsInhalte, die so jenseits des Akzeptablen und sogar Begreifbaren liegen, dass man(che) gar nicht anders können, als momentan zu verdrängen und abzuschalten.

    (und je nach Identität vom Verdrängen und Abschalten vielleicht gar nicht mehr wegkommen)

    AntwortenLöschen