Samstag, 20. April 2013

Als Doctor Who zurück ins Fernsehen kam

The unsilent Library ist der Titel eines lesenswerten Sammelbandes zur Wiederbelebung des Science Fiction Klassikers Doctor Who (BBC Wales) im Jahr 2005. Analysiert werden die Staffeln 1 bis 4 der neuen Serie, für die Russell T Davies und Julie Gardner als Executive Producer verantwortlich waren.

Seit der Einstellung von Doctor Who 1989 und einem gescheiterten Wiederbelebungsversuch mittels Fernseh(pilot)film 1996, war es vergleichsweise ruhig um den zeitreisenden Time Lord geworden. Zwar wurden weiterhin Hörspiele und Romane mit diversen Reinkarnationen des Doctors produziert - nicht jedoch eine regelmäßig ausgestrahlte Fernsehserie. Nach mehrjährigem Lobbying gelang es Davies und Gardner, die Serie zurück ins Fernsehen zu bringen. Nicht als Reboot, wie in den letzten Jahren bei Comic Verfilmungen und im Science Fiction Genre oftmals üblich, sondern als chronologische Fortsetzung der alten Serie. Die Beiträge im von Simon Bradshaw, Antony Keen und Graham Sleight herausgegebenen Sammelband nähern sich "New Who" (wie die neue Doctor Who Serie umgangssprachlich genannt wird) in insgesamt zehn Essays mit verschiedenen Fragestellungen an.

Göttliches und Messianisches

Paul Hawkins schreibt über die Deus ex machina als trashige Problemlösungsstrategie. Doctor Who ist eine Show, die bereit sei, die Regeln der eigenen Narration zu brechen und Konventionen des Storytellings wissentlich zu übergehen "in order to function in its unique, and even paradoxical role, of a cult sf show for a mainstream audience" (S. 42). Enden, in denen der Doctor die Lösung des Problems aus dem Hut zieht wie der Zauberer das Kaninchen, können als Persiflage auf das negativ besetzte Deus ex machina Motiv gelesen werden. Ähnliches gilt für die oft lächerlich wirkenden Cliffhanger, die für gewöhnlich wenige Sekunden nach Beginn der nächsten Folge - ebenfalls mittels Deus ex machina - entschärft werden.

Una McCormack stellt in ihrem mit "He's not the Messiah" betitelten Artikel die Frage, inwiefern religiöse und politische Autorität in Doctor Who unterminiert wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Doctor Who reich an christlicher Symbolik ist, wobei die christlichen Motive in der neuen Serie eher zu- als abnehmen. Ist das Raum-Zeit-Kontinuum in Gefahr, läutet in der TARDIS die "Cloister Bell", Selbstopfer zur Rettung der Welt haben eine gewisse Regelmäßigkeit und der Doctor ist an sich eine an Jesus erinnernde Figur, die mitunter sogar durch Gebete gestärkt werden kann (vgl. "Last of the Time Lords" - Staffel 3, Folge 13). Dennoch ist die Serie zutiefst atheistisch, vom skeptischen Rationalismus ihrer humanistischen außerirdischen Hauptfigur geprägt.

McCormack sieht in diesem Zusammenhang Parallelen zu kolonialistischen Motiven. Der Doctor sucht nach dem Unbekannten und gewinnt mittels Vernunft und technologischer Überlegenheit zumeist schnell das Vertrauen der Fremden. Dies komme einer Verklärung kolonialer Herrschaft gleich, die sich in Doctor Who - einem Kind der frühen 1960er Jahre - fortschreibe, meint McCormack.

Heldinnen mit Ablaufdatum - Frauen im Whoverse

Der zentralen personellen Verbindung zwischen Classic Who (1963-1989) und New Who (ab 2005) widmet sich Antony Keen, der in seinem Beitrag über die von Elisabeth Sladen dargestellte Sarah Jane Smith schreibt. Sie war Companion des dritten (John Pertwee) und vierten Doctors (Tom Baker) und bekam unter Davies und Gardner ihre eigene Spin-off Serie. The Sarah Jane Adventures wurde für CBBC, den Kinderkanal der BBC, produziert.

Keen benennt das auffällige und - was Classic Who betrifft - klar asexuelle Interesse des Doctors an durchwegs jungen, mehrheitlich weiblichen BegleiterInnen. In New Who erfahren die Companions eine Aufwertung von Neben- zu Hauptdarstellerinnen. Zu Unterscheiden wäre dabei zwischen Main Companions wie Rose Tyler (Billie Piper), Martha Jones (Freema Agyeman) und Donna Noble (Catherine Tate) und den weniger wichtigen wiederkehrender BegleiterInnen wie Mickey Smith (Noel Clarke) oder Wilfred Mott (Bernard Cribbins). Seit dem 1995er Fernsehfilm sind auch romantische Beziehungsgeflechte zwischen dem Doctor und seinen weiblichen (!) Companions kein Tabu mehr.

Die Companions dienen nicht nur als Dialogfläche für den Doctor, sondern sind die StellvertreterInnen des Publikums und erschließen selbigem das Universum des Time Lords. Den Schwerpunkt des Textes legt Keen dabei auf Sarah Jane Smith und die Frage, warum der Doctor sie einst zurückgelassen hat. Ein Grund dafür ist, dass Schauspielerin Elisabeth Sladen weder aus der Serie herausgeheiratet noch herausgestorben werden wollte. Der New Who Folge "School Reunion" (Staffel 2, Folge 3), die Sarah Jane in das Doctor Who Franchise zurück bringt, steht Keen kritisch gegenüber. In der alten Serie sei Sarah Jane für ein feministisches, starkes Frauenbild gestanden, weshalb es eine Enttäuschung sei, wie sie in "School Reunion" zu einer Frau gemacht wird, die der Doctor einst zurückgelassen hat und deren Leben leer erscheint, weil sie weder Ehefrau noch Mutter ist.

Mit Donna Noble wird eine weitere Frauenfigur im Whoverse mit einem eigenen Artikel gewürdigt. Nicht nur ihr vergleichsweise fortgeschrittenes Alter, sondern auch ihr temperamentvolles Auftreten unterscheidet sie von den Companions vor ihr. Die starke Frau, die später halb Mensch und halb Time Lord ist, wird für ihre Superkräfte abgestraft und in ihr altes, kleinbürgerliches Leben zurück gezwungen, schreiben Sydney und Andy Duncan über den letzten Companion des zehnten Doctors (David Tennant), die das Universum gerettet hat und dafür einen hohen Preis bezahlen musste. Sämtliche Erinnerungen an die Abenteuer mit dem Doctor wurden gelöscht, während ihr männliches Gegenüber - ebenfalls halb Mensch, halb Time Lord - seine Erinnerung behalten und mit Rose Tyler in ein Paralleluniversum übersiedeln darf.

Sexualität und Reproduktion

Catherine Cooker schreibt über Sexualität im Whoverse. Während sich die Star Trek ProduzentInnen bis heute nicht dazu durchringen konnten, eine wiederkehrende schwule, lesbische oder bisexuelle Figur im Franchise zu etablieren, setzten die MacherInnen von New Who mit der Einführung von Captain Jack Harkness (John Barrowman) ein deutliches Zeichen. Er ist bisexuell und unsterblich, womit er eine zentrale Erzählkonvention in Bezug auf nicht heterosexuelle Figuren in Film und Fernsehen verunmöglicht: Den frühzeitigen Tod. Mit Torchwood (BBC Wales) hat Jack seine eigene Spin-off Serie, die sich an ein ausschließlich erwachsenes Publikum richtet.

Neben Jack kommen - sowohl in Torchwood als auch in Doctor Who - immer wieder nicht heterosexuelle Figuren in Nebenrollen vor. Ihre Sexualität wird selten direkt zur Sprache gebracht. Stattdessen wird versucht, homosexuelles Begehren als gesellschaftliche Normalität, die nicht mehr thematisierenswert ist, darzustellen.

Fortpflanzung ist in Doctor Who nicht mehr zwangsläufig an Sexualität gebunden. Ein Beispiel dafür ist der künstlich erzeugten Luke Smith (Tommy Knight), der am Beginn von The Sarah Jane Smith Adventures von der alleinstehenden Sarah Jane adoptiert wird. Luke hat keinen Bauchnabel und wurde nicht geboren, sondern mit technischen Hilfsmitteln als Jugendlicher erschaffen. Reproduktion ist weder an den Zeugungsakt, noch an Schwangerschaft, Geburt oder frühkindliche Betreuung geknüpft. Das gilt auch für die die Tochter des Doctors (Georgia Moffett), die mittels DNA Abstrich als Erwachsene das Licht der Welt erblickt (vgl. "The Doctor's Daughter" - Staffel 4, Folge 6)

Zeitreiseprobleme

Über Philosophie und theoretische Probleme des Zeitreisens macht sich Richard Burlay Gedanken. Beginnend mit bekannten Widersprüchen wie dem Großvaterparadoxon (Wenn du in die Vergangenheit reist, um deinen Großvater umzubringen, damit du nie existierst, musst du scheitern) und der Frage wo, wenn Zeitreisen in der Zukunft möglich wären, denn bitte all die Zeitreisenden abgeblieben sind, landet Burlay bei vermeintlichen Gefahren des Zeitreisens (in der Vergangenheit auf einen Schmetterling steigen und die Evolution ungünstig beeinflussen udgl.). Eher skurril muten manche von den DrehbuchautorInnen vorgeschobenen Paradoxa an - u.a. die nie durchargumentierte Behauptung, eine missglückte Zeitreise könne das Ende des Universums herbeiführen und man dürfe sich selbst keinesfalls in Vergangenheit oder Zukunft begegnen. Ein Motiv das Back to the Future aus einer Classic Doctor Who Folge ("Mawdryn Undead" - Staffel 20, Serial 3) übernommen hat, wie Burlay zeigt.

Im Laufe der Jahre veränderten sich die Zeitreiseregeln im Whoverse. Waren verändernde Eingriffe in den Anfangsjahren noch Tabu, entdeckten die MacherInnen der Serie schon recht bald, wie stark sie die DrehbuchautorInnen mit derart strengen Regeln einengen. So kam es, dass Eingriffe in die Geschichte zunehmend möglich wurden und in weiterer Folge zur "wibbly wobbly timey wimey" Zeitreisephilosphie der heutigen Serie.

Was fehlt: Julie Gardner im Buchtitel

Etwas irritierend an dem im großen und ganzen gelungenen Sammelband ist die einseitige Betonung von Davies' Leistung als Showrunner. Die Tatsache, dass Gardner gleichberechtigt mit ihm als Executive Producer agierte und in dieser Funktion ebenso umfangreiche Verantwortung für die Entstehung der Serie hatte, wird wenig Beachtung geschenkt. Auf dem Buchcover wird nur von der "Russell T. Davies Era of the New Doctor Who" geschrieben, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass die HerausgeberInnen die Rolle des Drehbuchautors und Drehbucheditors höher einschätzen als die anderen Arbeitsschritte, die eine erfolgreiche TV Serie ermöglichen. So bleibt eine Fernsehproduzentin ungenannt, die eine gleichberechtigte Nennung auf dem Buchcover allemal verdient hätte.

Deshalb abschließend eine adequate Würdigung des Zusammenwirkens von Gardner und Davies:



Siehe auch:
"I don't know if it's Marxism in action or a west end musical."
"Turn Left"

Simon Bradshaw, Antony Keen, Graham Sleight (Hg.)
The unsilent Library. Essays on the Russell T. Davies Era of the New Doctor Who
The Science Fiction Foundation 2011
183 Seiten

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