Liebe, Tränen, Lügen, Verrat, Inszenierung, Zusammenbruch. Die fünfte Staffel von Ich bin ein Star – holt mich hier raus (RTL) erzielte Rekordquoten, von denen dank (halb-)lustiger, kritischer und unnötiger Zweitverwertungen nicht nur RTL profitierte.
"Ich hab keine Lust mit Lügnern zusammenzuleben: mit Schauspielern!"
Sarah Knappik
Wirklich viel wollte vor dem Einzug der KandidatInnen nicht passieren. Deshalb machte RTL aus einer zivilisierten Unterhaltung einen "Sex-Zoff vor dem Abflug" und versuchte im Schnittraum aus der Figurenanordnung der aktuellen Staffel rauszuholen was geht. Das war zunächst - wie gesagt - nicht viel, außer der Erkenntnis, dass dank RTL auch alte Menschen wieder einen Platz im Fernsehen haben. Denn dem Durchschnittsalter der KandidatInnen nach zu schließen, versprach Ich bin ein Star - holt mich hier raus 2011 eine skurrile Neuauflage des legendären Seniorenclub (ORF 2) zu werden. Eine Neuauflage mit Werbepausen und Folter-Szenen, also genau so wie der Seniorenclub heute aussehen würde, hätte ihn Gerhard Zeiler zu seinem neuen Arbeitgeber mitgenommen.
In trauriger deutscher Humortradition versuchte RTL die drohende Langeweile mit vermeintlich lustigem Bedienen von Vorurteilen zu übertünchen. Das mit Abstand schlimmste waren die Moderationen von Dirk Bach und Sonja Zietlow während der ersten Folgen, die man als klassischen „sexism disguised as humor“ bezeichnen kann. Im weiteren Verlauf der Sendung hat sich das jedoch gebessert. Man fand andere Zielscheiben. Nicht zuletzt Karl-Theodor zu Guttenberg, der einen Witz von Bach und Zietlow klaute. Guttenberg, dass ist der Mann einer Moderatorin, die bei RTL II als Pädophilenjägerin beschäftigt ist. Er selbst arbeitet als Sidekick von Johannes B. Kerner bei Sat.1 und versucht sich nebenbei als Politiker einer süddeutschen Regionalpartei.
Natürlich gingen die Witze auch weiterhin auf Kosten der KandidatInnen. Allerdings weniger in Bezug auf Äußerlichkeiten und den Grad der Konformität mit der zugewiesenen Geschlechterrolle. Fokussiert wurde nun stärker auf das tatsächliche bzw. das in der Schnittfassung von RTL hervorgehobene Verhalten.
Im Dunklen bleibt was die Sendungsverantwortlichen unter dem Begriff "Live" verstehen, der permanent unter dem Logo von RTL eingeblendet wurde. Dass 3/4 der Sendung offensichtlich voraufgezeichnet sind? Warum dann das Insert? Fragen wie diese begleiteten die ersten paar Folgen.
Doch dann kam alles ganz anders: Die fünfte Staffel wurde plötzlich zu einem Labor für angewandte Konfliktforschung. ProfilierungsneurotikerInnen werfen sich gegenseitig Profilierungsneurosen vor und drehten Abend für Abend vor Millionenpublikum an der Eskalationsspirale. Zunächst noch absehbare Sympathiebekundungen des Publikums für einzelne KandidatInnen veränderten sich schlagartig und grundlegend. Sowohl im Camp als auch außerhalb wurde verhandelt was echt ist und was nicht, ob und welche Absprachen es gibt und wer welches Image korrigieren oder verfestigen möchte. Spätestens ab diesen Zeitpunkt fragte ich mich, ob Dirk Bach nur deshalb in Die ARGE Talkshow (ORF eins) auftritt, weil ihn Ich bin ein Star – holt mich hier raus intellektuell zu überfordern droht.
Achtung: Medien-Tsunami!
Wenig überraschend, dass Sendungen wie Extra (RTL) die Ereignisse im Dschungelcamp aufgreifen und ausgiebig behandelten – ist schließlich Werbung für ein extrem kostspieliges Format des eigenen Senders. Aber auch in den Programmfenstern der Drittanbieter befassten sich sowohl Spiegel TV Magazin als auch stern TV (DCTP) wiederholt mit Ich bin ein Star - holt mich hier raus.
Von öffentlich-rechtlich bis privat naschten fast alle deutschsprachigen Sender am Erfolg mit. Selbst die direkte Konkurrenz von ProSieben begleitete die Ereignisse im Dschungelcamp kontinuierlich via TV total und taff. Darüber hinaus wurde Ich bin ein Star - holt mich hier raus in Switch reloaded (ProSieben) - unlustig wie gewohnt - parodiert.
Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gab es teils wiedergekautes, teils neues. Aber auch hier war Ich bin ein Star - holt mich hier raus in Magazinen und sogar Nachrichtensendungen präsent. Mit "Wie das 'Dschungelcamp' hoffähig wurde" brachte Zapp (NDR) einen erfrischend interessanten und reflektierten Beitrag, in dem die Fernsehkritikerin Klaudia Wick interviewt und die Rezeptionsgeschichte des Formats nachgezeichnet wurde.
Bereits vor Beginn der Show lobt die sozialistische Tageszeitung Neues Deutschland den "Aufstieg der Heruntergekommenen", für den Ich bin ein Star – holt mich hier raus stünde. "Brecht hätte Langhans gesehen" schrieb taz am 27. Jänner 2011 und gab den Lebensgefährtinnen von Rainer Langhans zudem eine Kolumne, in der sie das Verhalten ihres Partners täglich kommentieren konnten. Christiane Rösinger denkt für FM4 anhand von Ich bin ein Star – holt mich hier raus und den Vorkommnissen auf der Gorch Fock über Gruppenprozesse nach: "Ob im Dschungel oder auf dem Segelschiff: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf (Homo homini lupus est)" (vgl. "Ich bin ein Star - lasst mich hier drin!"). Sogar in meinen Träumen wurde Ich bin ein Star – holt mich hier raus zweitverwertet. In der Nacht auf den 24. Jänner 2011 sind mir Dirk Bach und Sonja Zietlow im Schlaf erschienen und haben mich gezwungen halbverwehste Zierfische zu essen. Danke RTL!
Alle setzten irgendwie auf das Thema – selbst dieser Blog und sein Twitter-Ableger. Aber um davon abzulenken: Rainer Langhans spült sein Geschirr nicht, er leckt es ab. Und Sarah Knappik lenkte von dieser eigentlich Sensation der fünften Staffel ab, indem sie sofort das Wort ergriff und irgendwas anderes redete. Und das sollten wir vielleicht alle tun.
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