Freitag, 25. Februar 2011

Eurovision Song Contest: Die inoffiziellen Camp Top 10

Der Eurovision Song Contest ist über weite Strecken eine geschmackliche Grenzerfahrung. Nichts bietet sich angesichts dessen mehr an, als ein Blick zurück in die Geschichte des Bewerbs, im konkreten Fall als popkulturelles Camp-Ereignis betrachtet. Camp ist dabei als eine Ästhetik der Übertreibung zu verstehen, die (im besten Fall!) in der Lage ist konventionelle Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität zu subvertieren. Dafür gibt es in der Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson überraschend viele Beispiele, wie diese – freilich vollkommen subjektive – Auswahl zeigen soll.

Das Rainbownetwork beschäftigte sich ebenfalls mit Camp beim Eurovision Song Contest und kam mit einer leicht abweichenden Fragestellung zu von dieser Liste beträchtlich abweichenden Ergebnissen.


Platz 10
Herreys - Diggi-loo diggi-ley
Schweden
Finale 1984, Platz 1


Goldene Schuhe, hochgestellter Kragen, Föhnfrisur und (fast schon unerträgliche) Fröhlichkeit. 1984 reichte das für den Sieg – hier reicht es gerade mal für Platz 10.


Platz 9
Paul Oscar - Minn hinsti dans
Island
Finale 1997, Platz 2


Ein zunächst regungsloser Sänger und mehrere scheintote Tänzerinnen in Leder/Latex-Kostümen erwachen langsam zum Leben. Im Zentrum steht eine weiße Ledercouch. Für die Wohnzimmereinrichtung des Song Contest Publikums ist das nicht ungewöhnlich – für eine Performance auf der Bühne des Selbigen schon.


Platz 8
Svetlana Loboda - Be My Valentine! (Anti-crisis Girl)
Ukraine
Finale 2009, Platz 12


Fast nackte muskulöse Männer mit spärlichen Resten metallener römischer Uniformen. Die Sängerin lässt sich ordentlich durch die Luft wirbeln, setzt sich während einer Gesangspause ans Schlagzeug und verspricht im Jahr der globalen Finanzkrise: "Baby, I can save your world, I'm your anti-crisis girl".


Platz 7
ABBA - Waterloo
Schweden
Finale 1974, Platz 1


Es ist nicht sehr kreativ, ABBA in eine "Best of"-Liste mit Bezug zum Eurovision Song Contest aufzunehmen. Bei dem Auftritt aus dem Jahr 1974 handelt es sich aber tatsächlich um einen ästhetischen und musikalischen Bruch mit dem davor dagewesenen und das muss – gerade wenn es um Camp geht – goutiert werden. Napoleon als Dirigent, eine Silber glitzernde sternförmige Gitarre und die legendären ABBA-Kostüme mit Augenkrebsgarantie. Auch der Text ist eine einzige Übertreibung.


Platz 6
Lulu - Boom bang-a-bang
Großbritannien
Finale 1969, Platz 1


Hier muss man vorausschicken, dass wir uns im Jahr 1969 befinden. Seit gerade einmal zwei Jahren wird der Bewerb in Farbe übertragen; die Grenzen des Möglichen waren noch sehr eng gesteckt. Lulus Performance ist wie eine aus Zucker und Honig bestehende Süßspeise, die mit Marzipan und pinkem Zuckerguss verziert wurde. Noch deutlicher als beim (damals) umstrittenen Auftritt von Sandie Shaw 1967 driftet die übertriebene, puppenhafte Weiblichkeit phasenweise ins parodistische ab. Deshalb – irgendwie außer Konkurrenz – ein Platz in den Top 10. Ein Platz der auch an Sandie Shaw hätte gehen könnte, hätte sich das Farbfernsehen bereits 1967 durchgesetzt.


Platz 5
Sestre - Samo ljubezen
Slowenien
Finale 2002, Platz 13


Drei Transvestiten checken als Stewardessen bei Camp Airways ein. Weiße Stoffhandschuhe, rote Lackschuhe, weiße Strümpfe, drei rote Kleider mit jeweils einem Kilo Glitter und drei BackgroundsängerInnen in weißen Flugzeugkapitäns-Galauniformen. Für 2002 irgendwie sehr konventionell, wenn man bedenkt was in früheren Jahren schon alles möglich war.


Platz 4
Dima Bilan - Believe
Russland
Finale 2008, Platz 1


2008 war ein großes Jahr für Camp beim Eurovision Song Contest. Mit einer Violine, viel Emotion und einem Eiskunstläufer (!) auf der Bühne gewann Dima Bilan den Bewerb für Russland.


Platz 3
Sébastien Tellier - Divine
Frankreich
Finale 2008, Platz 19


Der Sänger fährt mit einem Golfauto auf die Bühne. Er hat eine Art Globus-Wasserball mit dabei, der mit Helium gefüllt ist. Selbiges wird er während des Auftritts inhalieren. Höhepunkt der Performance sind 5 Sekunden Stille, gefolgt von einer andächtige Sonnenfinsternis. Last but not least: Er wird von Backgroundsängerinnen mit Vollbart begleitet – bisher einzigartig in der Geschichte des Eurovision Song Contest.


Platz 2
Silvía Night - Congratulations
Island
Halbfinale 2006, Platz 13


Gleich zu Beginn lautstark ausgebuht. Die Tänzer haben wahlweise Phallussymbole oder Tiermasken im Gesicht. Auf der Bühne befinden sich ein zu einer Rutsche umgebauter gigantischer Schuh und zwei überdimensionierte Zuckerstangen. Eine Lametta-Dusche gibt’s auch, ebenso wie ein Telefongespräch mit Gott. Gegen Ende lassen die Herren unerwartet die Hosen runter. Nachdem alles vorbei ist gibt es abermals laute Buhrufe.


Platz 1
Verka Serduchka - Dancing Lasha Tumbai
Ukraine
Finale 2007, Platz 2


Diverse Phantasieuniformen in funkelnd-glänzendem Silber bzw. nicht minder funkelndem Gold. Falls sich jemand fragt, was der Text bedeutet: Der Text bedeutet eigentlich gar nichts. Für Auftrittsverbot in Putins Russland hat es trotzdem gereicht.

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