Montag, 14. Februar 2011

Der Trug des verdoppelten Lebens – Theodor W. Adornos "Prolog zum Fernsehen"

Die Fernsehkritik von Theodor W. Adorno wird oftmals als dem Gegenstand nicht adäquat, veraltet oder gar kulturpessimistisch beschrieben. Doch gerade aus einer gesellschaftskritischen Perspektive ist Adornos "Prolog zum Fernsehen" bis heute als radikale Gegenposition zum positivistischen und postmodernistischen Mainstream der Fernseh- und Medienwissenschaft aktuell.

Der 1953 publizierte "Prolog zum Fernsehen" beruht auf Studien, an denen Adorno zwischen 1952 und 1953 in den USA gearbeitet hat. Beschrieben werden allgemeine Tendenzen des Mediums Fernsehen, die sowohl über den räumlichen Kontext Nordamerika als auch über den zeitlichen Kontext der 1950er Jahre hinausreichen.

Adorno betont zu Beginn des Textes, dass technische, künstlerische und gesellschaftliche Aspekte des Fernsehens nicht getrennt behandelt werden können. Sie sind voneinander abhängig und daher auch in der Kritik in ihren Zusammenhängen und Wechselwirkungen darzustellen.

Was macht das Fernsehen mit den Menschen?

Aufbauend auf der zusammen mit Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung formulierten Kritik an der Kulturindustrie, setzt sich Adorno mit dem in seiner Massentauglichkeit seinerzeit vergleichsweise neuem Medium Fernsehen auseinander. Es verstopft die Lücke, die der Privatexistenz vor der Kulturindustrie noch geblieben war. Die Freizeit wird vollends zu ihrem Refugium. Eine Besinnung, dass die von der Kulturindustrie gezeigte Welt nicht die wirkliche ist, wird immer weniger möglich. Das Fernsehen, vermutet Adorno, macht die Menschen noch einmal zu dem, was sie ohnehin sind. Sie werden in ihrem Dasein fixiert und passiv gemacht, anstatt zu Veränderung oder gar emanzipatorischem Handeln ermutigt.

Was Fernsehen ist, wird durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt. Eine Funktion des Fernsehen in dieser Gesellschaft ist die Befriedung gesellschaftlicher Konflikte. Die Menschen würden den gesellschaftlichen Druck, dem sie beständig ausgesetzt sind, nicht mehr ertragen, "wenn ihnen nicht die prekären Leistungen der Anpassung, die sie einmal vollbracht haben, immer aufs neue vorgemacht und in ihnen selber wiederholt würden" (S. 508). Das Fernsehen unterstützt sie dabei. "Die Kulturindustrie grinst: werde was du bist, und ihre Lüge besteht gerade in der wiederholenden Bestätigung und Verfestigung des bloßen So-seins, dessen, wozu der Weltlauf die Menschen gemacht hat." (S. 514)

Was machen die Menschen beim Fernsehen?

Fernsehen macht den Weg ins Kino unnötig. Die bedrohlich erkaltete Welt kommt direkt zum Konsumenten / zur Konsumentin. Doch die konkreten Rezeptionsumstände unterscheiden sich vom Kino unter anderem dadurch, dass Verdunkelung ausbleibt. Die Situation in der Fernsehen konsumiert wird, darf sich vom Alltag so wenig wie möglich unterscheiden. Fernsehen wird so zu einem Stück Realität – sein künstlicher Charakter verschleiert. Die Distanzlosigkeit des Fernsehens parodiert Brüderlichkeit und Solidarität. Die Sehnsucht nach den beiden letztgenannten garantiert dem Medium seine Popularität.

Adorno betont den gemeinschaftsbildenden Effekt, welcher aus der distanzlosen Nähe beim Fernsehen resultiert. Der Fernsehapparat schweißt Freunde und Familienangehörige zusammen, die sich stumpfsinnig vor dem Apparat versammeln, obwohl sie sich eigentlich nichts zu sagen haben. Er vernebelt reale Entfremdung. Nicht der Inhalt, sondern die konkrete Situation des Fernsehkonsums verdummt sein Publikum.

Misstrauen sollte man der Kritik am Fernsehen, die von älteren Sektoren der Kulturindustrie geübt wird. Das Fernsehen fungiert dabei zumeist als Sündenbock. Die Behauptung es würde das Niveau weiter herabsetzen lenkt davon ab, dass viele Tendenzen des Fernsehens auch schon in seinen Vorgängermedien zu finden sind. Der Tonfilm steht qualitativ in keiner Weise über dem Fernsehen. Letzteres ist lediglich billiger als regelmäßige Kinobesuche.

„Es geht auch anders, doch so geht es auch“ (Bertolt Brecht)

So kritisch die Einschätzung Adornos auch sein mag - sie lädt keineswegs zur Resignation ein. Er spricht lediglich vom Fernsehen "so wie es ist" (S. 508). Doch es könnte eben auch anders sein, ist veränderbar, kann sich institutionell seiner gesellschaftlichen Position bewusst werden ebenso wie sich die RezipientInnen ihrer Position bewusst werden könnten. Die weitere Entwicklung des Fernsehens ist prinzipiell offen, Adornos Schlussfolgerung aus dem Jahr 1953 bis heute aktuell: "Was aus dem Fernsehen werden mag, läßt sich nicht prophezeien; was es heute ist, hängt nicht an der Erfindung, nicht einmal an den besonderen Formen ihrer kommerziellen Verwertung sondern am Ganzen, in welches es eingespannt ist." (S. 516)

Den Schlüssel zu ihrer Kritik liefert die Kulturindustrie selbst, die von Missverständnissen und Widersprüchen durchsetzt ist und damit "an den Trug des verdoppelten Lebens" (S. 509) gemahnt. Doch zugleich betont Adorno, dass sich aus den Widersprüchen der Kulturindustrie nicht zwangsläufig eine emanzipatorische Entwicklung ergeben muss. Auch wenn der Verdacht, die vom Fernsehen präsentierte Realität sei nicht die wirkliche, beim Publikum wachsen wird, kann das auch zu einer umso stärkeren Identifikation mit dem Gezeigten führen. Noch verbissener klammert sich das Publikum, dass eigentlich weiß, dass es betrogen wird, an das betrügende Medium.

Adorno, Theodor W., "Prolog zum Fernsehen", in: Gesammelte Schriften, Bd. 10, Kulturkritik und Gesellschaft II, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 507-517.

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