Mittwoch, 20. April 2011

Zum späten Kinostart von "Four Lions"

Four Lions von Chris Morris, eine Satire über vier Selbstmordattentäter aus Sheffield, startet diese Woche mit großer Verspätung in den deutschsprachigen Kinos.

Chris Morris ist einer der innovativsten und zugleich umstrittensten Fernsehmacher Großbritanniens. Kaum eines der von ihm konzipierten Formate brachte es auf mehr als 6 Folgen. Die Reaktionen von Publikum und Kritik waren zumeist tief gespalten. Aus dem Radio kommend, ist er auf das Format Mockumentary spezialisiert. Zu seinen bekanntesten Fernseharbeiten zählen The Day Today (BBC) und Brass Eye (Channel 4). Letztere hatte seinerzeit sogar eine parlamentarische Anfrage eines leichtgläubig Abgeordneten zur Folge, der sich im britischen Unterhaus über die Gefahren der (von Morris erfundenen) Designerdroge „Cake“ erkundigen wollte. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Sitcom Nathan Barley (Channel 4) bei der Morris Regie führte, gemeinsam mit Charlie Brooker das Drehbuch schrieb und zusammen mit Jonathan Whitehead die Musik beisteuerte.

Im deutschsprachigen Raum ist Chris Morris wahrscheinlich primär wegen seiner Rolle in The IT Crowd (Channel 4) einem breiteren Publikum bekannt. Dort spielte er den exzentrischen Chef Denholm Reynholm, der sich am Beginn der zweiten Staffel mit dem mutmaßlich lustigsten Selbstmord der Fernsehgeschichte aus der Serie verabschiedete.

Filme über Selbstmordattentäter im Vergleich

Four Lions ist der erste abendfüllende Kinofilm von Morris, der nicht nur Regie führte, sondern auch große Teile des Drehbuchs schrieb. Wer schon immer wissen wollte warum sich Vögel nicht als SelbstmordattentäterInnen eignen und warum das Verschlucken von SIM-Karten zwar einerseits vor staatlicher Überwachung schützt, andererseits aber auch ein wirklich böses Ende nehmen kann, bekommt in Four Lions ausführliche Antworten.

Im Unterschied zu dem mit Preisen überhäuften Film Paradise Now (Regie: Hany Abu-Assad, 2005) geht es Morris nicht darum Verständnis für Selbstmordattentäter zu wecken und deren antisemitisches Motiv zu verschleiern. Vielmehr wird das irrationale Weltbild der Attentäter in Four Lions schonungslos offengelegt.

In deren Verschwörungstheorien wird sogar der muslimische Lebensmittelhändler ums Eck zum Juden, weil er Jaffa-Orangen in seinem Sortiment hat. Damit wiederum legitimiert Barry (Nigel Lindsay), ein zum Islam konvertierter Engländer, seinen Plan eine Moschee in die Luft zu jagen, um gemäßigte Muslime zum Aufstand gegen den westlichen Imperialismus zu bewegen.

Die Dreharbeiten zu den Bekennervideos gehören zu den komödiantischen Highlights des Films. Erst ist die Waffe zu klein, dann mutiert das Video zu einer Drohung gegen einen früheren Freund, der einem der Attentäter noch Geld schuldet. Ein weitere Videobotschaft wird per Handy in Pakistan aufgenommen, was dank Rufdatenerfassung einen militärischen Angriff auf das Terrorcamp zur Folge hat.

Karikiert wird auch der öffentliche Umgang mit IslamistInnen. Barry, der Chef der islamistischen Terrorzelle, attackiert bei einer Podiumsdiskussion seine MitdiskutantInnen, die seiner Ansicht nach alle Muslime zu TerroristInnen machen würden. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: die anderen Beteiligten bemühen sich um Differenzierung und versuchen moderate Kräfte zu stärken.

Problematische Identifikation

In Four Lions kommt niemand gut weg. Weder der Staat, noch die Medien und schon gar nicht die Politik. Es ist zu sehen wie Menschen von staatlichen Behörden willkürlich verschleppt und mit Folter bedroht werden. Der Film zeigt wie die britische Polizei Menschen auf Verdacht erschießt und einen Politiker, der diese Vorgänge mit den Worten „The police shot the right man, but as far as I'm aware the wrong man exploded“ rechtfertigt.

Das nicht Vorhandensein von eindeutigen Identifikationsfiguren kann bei einem Publikum, dass aufgrund der herrschenden Sehgewohnheiten nach ebensolchen verlangt aber trotzdem zum Problem werden. In gewisser Weise sind es dann doch die Attentäter die, mit Ausnahme ihres konvertierten Anführers, in der Lage sind die Empathie der ZuschauerInnen zu erspielen.

Die Frage der Identifikation ist ein grundlegendes Problem bei Filmen über Selbstmordattentäter. Während Paradise Now sich diese ausdrücklich zum Ziel setzt und sie lediglich durch eine palästinensische Menschenrechtsaktivistin abschwächt, müssen kritische Filme gegen die Sehnsucht nach Identifikation mit den Hauptfiguren ankämpfen. Dror Zahavi versucht das in Alles für meinen Vater (2008) mit eine Liebesgeschichte zwischen einer israelischen Jüdin und einem muslimischen Selbstmordattentäter, dessen Motiv im Laufe der Handlung als bloße Einbildung entlarvt wird. In Four Lions ist es der satirische Zugang und das konsequente ins Lächerliche ziehen der Attentäter, ihrer Absichten und deren Umsetzung, die im besten Fall in der Lage sind den Drang des Publikums zur Identifikation zu brechen.

Spät aber doch: Der Kinostart in Deutschland und Österreich

Ein Kinostart im deutschsprachigen Raum ließ lange auf sich warten. In Deutschland sprach sich die CSU vor einigen Monaten sogar für ein Verbot aus fand ein CSU-Politiker Four Lions nicht so gut, da der Film - so wurde argumentiert - Öl ins Feuer gießen könne. Am 21. April läuft Four Lions nun doch in den hiesigen Kinos an, während er in Großbritannien schon lange auf DVD erschienen ist. Da die Synchronisation – dem Trailer nach zu schließen - sehr misslungen ist, sollte man den Film unbedingt auf Englisch ansehen (egal ob im Kino, auf DVD oder sonstwo).

Four Lions (UK 2010)
Regie/Drehbuch: Chris Morris
Erschienen auf DVD [Import]

(Dieser Artikel erschien in einer abweichenden Fassung zuerst in "Unique", der Zeitung der Österreichischen HochschülerInnenschaft an der Universität Wien)


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