Das Satireformat Extra 3 (NDR) nimmt sich der Piratenpartei an und scheitert. Zum einen an der schlechten schauspielerischen Leistung der Darsteller, zum anderen an den Ressentiments der Autoren.
Grundeinkommen und Gratis-Öffis
Ausgerechnet die vernünftigsten Forderungen der Piratenpartei, etwa die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder Freifahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, werden lächerlich gemacht. Gezeigt wird Johannes Schlüter (Jesko Friedrich) als dümmlicher Pirat. Er erzählt uns grinsend: "Ich habe ein bedingungsloses Grundeinkommen, fahre stundenlang kostenlos U-Bahn und höre dabei meine kostenlos heruntergeladene Musik. Und heute Abend treffe ich mich noch mit einem Kumpel zum Haschisch rauchen." So what?
Der Reporter fragt: "Und statt zum Beispiel eine Lösung für die Euro-Krise zu suchen, versprechen die Piraten alles kostenlos für alle, oder was?" - ganz so, als ob Öffi-Freifahrt im Zeitalter des Klimawandels und ein bedingungsloses Grundeinkommen, in einer Gesellschaft, in der, bei vernünftiger Verteilung und konsequenter Rationalisierung, alle Menschen, bei gleichbleibenden Wohlstand, viel weniger arbeiten müssten, derart lächerliche Forderungen wären. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, scheint hier die Devise zu sein. Ist den Autoren des Beitrags der tägliche Verkehrskollaps und der herrschende Arbeitsfetisch samt Disziplinar- und Zwangsmaßnahmen für Arbeitslose etwa lieber? Abgesehen davon ist die verächtlich gemachte Forderung "alles kostenlos für alle" einer emanzipativen Lösung der Euro-Krise wohl um einiges näher, als es die regierenden PolitikerInnen mit umfassenden Einschnitten in die Sozialsysteme und ihrer "Wir müssen den Gürtel enger schnallen"-Rhetorik sind.
Der schlecht bezahlte Musiker
Auch das Motiv des geschundenen Künstlers, der wegen des bösen Internets nicht mehr von seiner Kunst leben kann, wird wieder einmal gegen die PiratInnen in Stellung gebracht. Traurig sitzt er da an seiner Harve und liefert die Hintergrundmusik für den Extra 3 Beitrag. Warum die Piratenpartei daran schuld sein soll, dass er mangels künstlerischem Einkommen am Ende in einer Großküche arbeiten muss, bleibt schleierhaft. Arbeitet er doch, der Erzählung des Beitrags folgend, für den NDR und wird deshalb mit Rundfunkgebühren und nicht aus Tantiemen bezahlt. Alles in allem also ziemlich hanebüchener und hoch-ideologischer Schwachsinn, der primär der Erhaltung des Status Quo verpflichtet scheint.
Naheliegend wäre an dieser Stelle der Einwand, es handle sich um Satire, einen Spaß, den man nicht zu ernst nehmen sollte. Ricky Gervais hat in einem seiner helleren Momenten betont, dass die Ausrede, es sei ja nur Spaß nicht gilt[1]. Gute Satire unterscheide sich von schlechter gerade darin, dass sie Wahrheit in sich trägt.[2] Diesem Kriterium hält der Extra 3 Beitrag nur an wenigen Stellen stand.
Unglaubwürdige Satire
Themen, an denen sich gute Satire abarbeiten müsste, werden allenfalls angeschnitten - etwa die NPD-Vergangenheiten und rassistische Aussagen von Partei-Mitgliedern sowie der strukturelle und nicht selten erschreckend direkte Sexismus. Sieht man genauer hin, erscheint jedoch insbesondere die Thematisierung von letzterem etwas geheuchelt. Extra 3 wird, sieht man von Lea Rosh ab, seit Bestehen der Sendung fast durchgehend von Männern präsentiert. Nur wenn der männliche Anchorman mal ausfällt, durften gelegentlich Frauen einspringen (bis 2001 etwa Patricia Schlesinger und bis 2008 Anja Reschke). Die Sketche werden größtenteils von Männern geschrieben und performt (und das nicht selten mittelmäßig bis schlecht).
Die behauptete existenzielle Gefährdung durch eine vermeintliche Aushöhlung des UrheberInnenrechts kann man der Extra3-Redaktion ebenso wenig abnehmen wie den Tatort-AutorInnen. Sowohl die einen als auch die anderen werden aus den Rundfunkgebühren der ZuschauerInnen bezahlt. Ob ein Tatort oder eine Extra3-Sendung auf Youtube, The Pirate Bay oder kinox.to landet, ist für das Einkommen von AutorInnen, DarstellerInnen, technischem sowie administrativem Personal, sei es beim NDR oder bei anderen ARD-Anstalten, irrelevant.
Link:
Schlüter bei der Piratenpartei auf ndr.de
Anmerkungen:
[1] vgl. Ben Thompson, Sunshine on Puty. The Golden Age of British Comedy from Vic Reeves to The Office, London: Harper Perennial 2004, S. XV.
[2] Gervais erklärt sein Verständis von Comedy anhand rassistischer Witze: "I don't like racist jokes. Not because they are offensive. I don't like them because they're not funny. And they're not funny because they're not true. They are almost always based on a falsehood somewhere along the way, which ruins the gag for me. Comedy is an intellectual pursuit. Not a platform." Vgl. Ricky Gervais, "Life's Too Short, Comedy And Controversy", November 2011.
OK, dann mal eine kleine Kritik an deiner Kritik:
AntwortenLöschenDie "schlechte schauspielerische Leistung" ist bei Extra3 so gewollt und gewohnt. Die gehört in diesem Falle zur Satire und zur Darstellung der Nicht-Ernsthaftigkeit dazu.
Außerdem ist der letzte Punkt unpassend: Sicher ist die Angst der Tatort-Autoren unnötig. Doch eine Sendung wie Extra3 kann, wenn sie sich nicht auf sich selbst bezieht, durchaus Kritik an einer bestimmten Form von Urheberrechtsreformen üben. Sie sagt ja nicht: "Dann könnten wir nicht mehr arbeiten.", sondern sie sagt: "Vielleicht könnten Künstler dann nicht mehr von ihrer Kunst leben.". Ob sich Extra3 da mit einschließt oder nicht, ist nicht geklärt und irrelevant.
Solch ein Beitrag darf durchaus eine neutrale Position einnehmen und muss nicht durch ein Interesse geleitet sein, weil man selbst gefährdert wäre. Ich kann ja auch Kritik an einer Ackerlandreform üben, selbst wenn ich kein Landwirt bin und nichts damit zu tun habe. Es geht hier lediglich um die Frage: Wäre es gerecht, wenn bestimmte Forderungen durchgesetzt würden oder nicht? Über die Gerechtigkeit darf sich prinzipiell jeder äußern.
Dazu fand ich die Satire leider etwas zu platt, ansonsten freut mich, dass die Piraten inzwischen auch dort angekommen sind! :)