Lead Balloon (BBC Four / BBC Two) wird gerne als britische Version von Curb Your Enthusiasm (HBO) verhandelt. Wirklich treffend lässt sich die Serie damit aber nicht erfassen.
Während Larry David in Curb Your Enthusiasm zumeist inhaltlich recht hat und nur die Wahl der Mittel etwas aus dem Ruder läuft, ist der Ausgangspunkt von Rick Spleens (Jack Dee) eskalativem Verhalten ein anderer. Sein aufgeblähtes Ich ist permanent damit beschäftigt, sich gegen narzisstische Kränkungen zu wehren. Seine Fähigkeit zur Ironie endet, sobald es um ihn selbst und seine Fehler geht.
Lead Balloon ist deshalb mehr als nur eine britische Adaption von Curb Your Enthusiasm. Fast könnte man sagen, es handelt sich um eine Art Anti-Curb. Die Hauptfigur hat weder eine erfolgreiche Karriere hinter- noch vor sich. Es gibt keine Cameo-Auftritte am laufenden Band und die Grundkonstellation bleibt über alle vier Staffeln die Gleiche. Während die fiktive Version von Larry David, dank des Erfolgs von Seinfeld (NBC), sein Leben als Privatier genießen kann, ist die bürgerliche Existenz von Rick Spleen bei weitem nicht so abgesichert. Seinen Reiz schöpft Lead Balloon deshalb nicht zuletzt aus der Ausschlachtung von Ricks karrieretechnischem Abstieg. Hat er zu Beginn der Serie noch gelegentliche Auftritte in Chat- und Panel-Shows, folgen später nur noch lächerliche Rollen in Theaterstücken, Moderationen auf einem Teleshopping-Kanal und - der finale Tiefpunkt - Comedy-Unterricht für Gefängnisinsassen.
Auch wenn Rick ähnlich wie Larry im Zentrum der Handlung steht, lebt Lead Balloon bei weitem nicht so stark von seiner Hauptfigur wie Curb Your Enthusiasm. Ricks Tochter Sam (Antonia Campbell-Hughes) und ihr Freund Ben (Rasmus Hardiker) haben ein offensichtliches Drogenproblem, das aber in der Serie - mit Ausnahme eines Marihuana-Mint-Pie Weihnachtsunfalls - niemals direkt thematisiert wird. Obwohl fast immer vollkommen fertig, sind die beiden unhinterfragter, wenn auch finanziell belastender, Teil des bürgerlichen Familienlebens.
Regelmäßig arbeitet Rick mit seinem amerikanischen Gag-Schreiber Marty (Sean Power) zusammen. Trifft Letzterer in Ricks Anwesenheit auf die "osteuropäische" Haushälterin Magda (Anna Crilly), entfaltet sich immer wieder der gleiche sprachbasierte Running Gag, der um die Aussprache von Begriffen oder Ortsnamen kreist. Dabei gibt es jeweils "osteuropäische", amerikanische und naserümpfend-englische Varianten, die sich kaum stärker voneinander unterscheiden könnten.
Und was soll dieses "osteuropäisch" in Anführungszeichen? Ein weiteres Benefit der Serie ist das fiktive, nie genannte, osteuropäische Land, aus dem Magda kommt und in das sämtliche westeuropäischen Projektionen hineingelegt wurden. Es ist eine brutale, agrarisch geprägte, nuklear verseuchte Demokratur. Dort sind Männer noch echte Männer, Frauen noch echte Frauen und rassistische Witze gehören zum Kanon nationaler Comedy.
Im Vergleich zu den anderen Figuren ist Ricks Partnerin Mel (Raquel Cassidy) relativ farblos. Sie hat eine Talentagentur und scheint die einzige Person in der Serie zu sein, die frei von unangenehmen Spleens ist.
Abgerundet wird das Lead Balloon Universum vom nervigen Nachbarn Clive (John Biggins)[1] und dem noch nervigeren Kaffeehaus-Betreiber Michael (Tony Gardner). Letzterer war früher Bank-Manager und hatte dann einen psychischen Zusammenbruch, der ihn zum Kaffeehaus-Besitzer machte. Eine sehr britische Art mit einem Zusammenbruch umzugehen, wie Marty, nachdem er über Michaels Werdegang informiert wurde, irritiert anmerkt.
Link:
Lead Ballon auf britcoms.de
Anmerkung:
[1] An ihn dürfte auch der nervige Nachbar aus Friday Night Dinner (Channel 4) angelehnt sein. Nur dass der statt einer senilen 83 jährigen Mutter einen Schäferhund hat.
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