Aus der Vorratsdatenspeicherung gewonnene Daten sollen künftig in Bezug auf vermeintliche UrheberInnenrechtsverletzungen ausgewertet werden dürfen. Eine Überwachungstechnologie, die unter dem Vorwand einer effizienteren Bekämpfung von Terrorismus und Kinderpornographie eingeführt wurde, soll nun den Interessen von Medienkonzernen und Verwertungsgesellschaften dienen. So plant es jedenfalls das ÖVP Justizministerium.
Als besonders netzaffin kann man die ÖsterreicherInnen - sieht man von der Nutzung von Internetpornographie und dem Posten von „lustigen“ Bildern auf Facebook ab - nicht bezeichnen. Insofern ist es bemerkenswert, dass sich über 100.000 von ihnen mit der vergleichsweise sperrigen Materie Vorratsdatenspeicherung beschäftigt haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass es sinnvoll ist, eine parlamentarische BürgerInneninitiative gegen die Einführung der selbigen zu unterzeichnen.
Mittlerweile gab es ein Hearing, bei dem die Bedenken der 100.000 UnterstützerInnen der BürgerInneninitiative von der Regierung ignoriert wurden. Und nicht nur das: Statt VertreterInnen von UserInneninitiativen sollen nun Verwertungsgesellschaften und VertreterInnen der Industrie über eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf den Bereich des UrheberInnenrechts verhandeln. Das ist ein Schlag ins Gesicht, nicht nur für kritische BürgerInnen, denen Netzfreiheit ein Anliegen ist, sondern auch für viele UrheberInnen, in deren Namen Verwertungsgesellschaften und Industrie sich anmaßen so etwas zu fordern.
Die Verwertungsgesellschaften
Wer regelmäßig Texte veröffentlicht, egal ob es wissenschaftliche, journalistische oder künstlerische sind, hat faktisch keine andere Wahl, als der zuständigen Verwertungsgesellschaft beizutreten. Denn der Verwertungsgesellschaft ist es egal, ob du Mitglied bist oder nicht. Sie hebt das Geld an unterschiedlichen Stellen - nicht selten in Form von Pauschalen - ein. Bist du Mitglied, bekommst du einmal im Jahr einen Teil davon überwiesen. Wenn nicht, bekommen andere das Geld, das letztlich auch in deinem Namen eingetrieben wurde und du, als eigentliche UrheberIn, gehst leer aus.
Blogbeiträge und andere Texte, die im Internet publiziert werden, ignoriert die Literar-Mechana (das ist die in Österreich dafür zuständige Verwertungsgesellschaft) beharrlich. Lediglich im Zuge einer geringen Reprographievergütung werden Texte im Internet abgegolten. Allerdings nur, wenn sie zuvor in einer Zeitung, die keine Gratiszeitung und keine "Mitgliederzeitung" sein darf (darunter Fallen z.B. auch Zeitschriften der Österreichischen HochschülerInnenschaft wie Progress oder Unique), abgedruckt wurden.
Verwertungsgesellschaften haben - zumindest in dem Bereich, in den ich nun seit einigen Jahren Einblick habe - eine Zwei-Klassen-Verwertung etabliert. Wer ausschließlich online publiziert, schaut durch die Finger, unabhängig davon, ob es sich um einen mühsam recherchierten Beitrag für ein wissenschaftliches Online-Magazin, einen journalistischen Artikel für eine Online-Zeitung oder ein Posting auf einem Blog handelt. Genau die Leute, die für diese Ungleichbehandlung verantwortlich sind, maßen sich nun an, auch in meinem Namen mit der Regierung über eine Ausdehnung der Vorratsdatenspeicherung auf das UrheberInnenrecht zu verhandeln.
Die verpasste Chance der Industrie
Der Begriff "Contentmafia" stößt bei Verwertungsgesellschaften und Industrie nicht gerade auf Gegenliebe. Dabei ist zumindest eine formale Ähnlichkeit zu Schutzgelderpressung nicht von der Hand zu weisen. Damit ist nicht nur die z.B. in Deutschland grassierende Flut an Abmahnungen gemeint, die - geht es nach dem Justizministerium - in abgeschwächter Form auch bald in Österreich Realität werden soll. Auch eine Geisteshaltung der Industrie, die es ihrerseits verschlafen hat, die Möglichkeiten des Internets zeitgerecht für sich zu nutzen und die nun all jene mit Repression überziehen möchte, die diese Marktlücke mit alternativen Strukturen gefüllt haben, erinnert mich teilweise an mafiöse Geschäftsgebarungen.
Das Argument, wonach die meisten Streaming-Seiten durchaus kommerziell ausgerichtet seien, ist in meinen Augen eines gegen die Industrie und keines gegen die AnbieterInnen der Streams. Denn es zeigt, dass klassische Medienkonzerne, hätten sie ihre feindselige Haltung gegen das Internet rechtzeitig über Bord geworfen, diese Plattformen von Anfang an selbst betreiben und damit gigantische Gewinne einfahren hätten können (von denen selbstverständlich ein großer Teil an die UrheberInnen weitergeleitet worden wäre ***ACHTUNG: IRONIE***).
Diese Chance wurde verpasst: Es wird gestreamt, sowohl über Plattformen großer Konzerne wie Youtube als auch über viele kleine Plattformen. Fernsehsender und die Filmindustrie haben es bis heute nicht geschafft, Angebote bereitzustellen, die mit der - sagen wir mal - halblegalen Konkurrenz mithalten können. Die meisten von TV-Anstalten zur Verfügung gestellten Watch on demand Angebote sind national beschränkt. Außerdem bleiben die Beiträge zumeist nur wenige Tage online und werden danach de-publiziert. Es ist kein Wunder, dass die potentiellen KundInnen auf Plattformen ausweichen, die Inhalte - so sie nicht von staatlicher Seite zugedreht werden - langfristig und unabhängig vom Wohnort der NutzerInnen zur Verfügung stellen.
So what?
Wenn sich die Industrie schon für Gesetzesänderungen stark macht, sollten sich diese nicht gegen die eigenen KundInnen richten und diesen mit mehr Überwachung und Repression das Leben schwer machen. Sie sollten sich auch nicht gegen BetreiberInnen von Tauschbörsen und Streaming-Seiten richten, die auf die Unfähigkeit der Industrie durch Bereitstellen eigener, kommerziell überlebensfähiger, Plattformen reagieren. Stattdessen müsste es darum gehen, die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen und UrheberInnen- und Verwertungsrechte nicht auf Kosten der InternetnutzerInnen durchzusetzen.
Was eine noch strengere Verfolgung von UrheberInnenrechtsverletzungen für unabhängige BloggerInnen bedeutet, nicht zuletzt für solche, die sich mit Fernsehinhalten beschäftigen, die sie de facto nicht auf legalem Wege empfangen können, hat Oliver Nagel auf britcoms.de sehr gut in Worte gefasst. Das wäre ein weiterer zu diskutierender Aspekt, der in meinem Beitrag leider zu kurz kommt.
Unabhängig davon fände ich es wichtig, dass Urheberinnen und Urheber künstlerischer, wissenschaftlicher und anderer Werke sich organisieren und den Verwertungsgesellschaften ihren Alleinvertretungsanspruch streitig machen. Denn das konkrete Wirken dieser Organisationen ist faktisch nur im Sinne weniger, tendenziell klassische Medienkanälen bespielender UrheberInnen. Das konkrete Verhalten der Verwertungsgesellschaften arbeitet der Industrie und staatlichen Repressions- und Überwachungsorganen mehr zu, als jenen UrheberInnen, die sich tagtäglich für die Freiheit der Kunst, die Freiheit von Information und die Freiheit aller Medien engagieren.
Siehe auch:
KünstlerInnen für mehr Überwachung und Repression
Link:
Kunst gegen Überwachung
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