Donnerstag, 1. September 2011

One and a Half Man

Völlig verständnislos stehe ich dem Erfolg von Two and a Half Men (CBS) gegenüber. Die Serie ist so einfach gestrickt, dass selbst der Hauptdarsteller problemlos (in Abwesenheit!) herausgeschrieben und durch eine bisher nicht existente Figur ersetzt werden kann.

Two and a Half Men funktioniert formal wie viele erfolgreiche US-Sitcoms aus den frühen 1990ern: Live-Publikum und Wohnzimmer/Küche/Schlafzimmer-Kulisse. Die Dialoge bestehen aus selbstreferenziellen one-linern gepaart mit den Immergleichen feed line/punch line Konstruktionen. Doch inhaltlich unterscheidet sich Two and a Half Men deutlich von großen Sitcom-Erfolgen der 1990er Jahre. Explizit genannt seien hier Serien wie Roseanne (ABC), Golden Girls oder Blossom (beide NBC), die sich nicht scheuten Themen wie Rassismus, Gewalt gegen Frauen oder AIDS auf erstaunlich reflektierte Weise in ihre Handlungsstränge einzuweben.

In dieser Zeit etablierte sich Chuck Lorre in der Branche. Bevor er Two and a Half Men gemeinsam mit Lee Aronsohn entwickelte, fungierte er zeitweilig als Co-Producer und Drehbuchautor für Roseanne. Der Erfolg der Sitcoms Cybill (CBS) sowie Dharma & Greg (ABC) markieren den Durchbruch Lorres als Drehbuchautor, Produzent und Programmentwickler.

Zunächst schwamm Lorre im Mainstream der 1990er Jahre Sitcoms mit. Das lässt sich schon an den Figurenkonstellationen seiner frühen Projekte ablesen. Cybill erinnert an Absolutely Fabulous (BBC) von/mit Jennifer Saunders – jedoch deutlich entschärft, insbesondere was die Verherrlichung von Drogenkonsum betrifft. Wie bei Absolutely Fabulous stehen bei Cybill zwei Frauen mittleren Alters - die erfolglose und mehrfach geschiedene Schauspielerin Cybill Sheridan (Cybill Shepherd) und die zu Alkoholexzessen neigende Millionärsgattin Maryann Thorpe (Christine Baranski) – im Zentrum der Handlung. Den Reiz an der Serie erzeugen nicht zuletzt das Verhältnis von Cybill zu ihren Ex-Männern, ihre ständig prekären Arbeitsverhältnisse sowie die obligatorischen Mutter/Tochter-Konflikte.

Dharma & Greg verhandelt den Konflikt zwischen dem liberalen und dem konservativen Amerika. Dharma (Jenna Elfman) - Tochter zweier Alt-68er - heiratet spontan den aus einer reichen konservativen Familie stammenden Greg (Thomas Gibson). Obwohl die Serie viele Klischees über Hippies und PolitaktivistInnen bemüht, wird amerikanische Zeitgeschichte durchaus interessant verhandelt, der Kampf um Deutungshoheiten ironisch zur Darstellung gebracht. Zugleich markiert Dharma & Greg den Schlusspunkt in Bezug auf die Diskussion gesellschaftlicher Konfliktfelder in den Sitcoms von Lorre.

Danach kam Two and a Half Man. Ein mit Preisen überschütteter Welterfolg, obwohl (oder weil?) die Geschichten größtenteils banal, die Figuren einfach – um nicht zu sagen völlig konturlos - gestrickt sind und Frauen darin fast durchgängig als dumme, aber willige, Sexobjekte dargestellt werden.

Two and a Half Men markiert einen ideologischen Bruch. Sitcom ist hier nicht mehr Bühne für eine differenzierte Darstellung familiärer sowie gesellschaftlicher Konflikte. Humor und Satire werden zu Medien der Erniedrigung der ProtagonistInnen – und letztlich auch des Publikums. Die Währung der Serie ist der selbstbewusst vor und hinter der Kamera performte Sexismus von Charlie Sheen (wie sich die Sache mit Aston Kutcher entwickeln wird, bleibt abzuwarten). Die weiblichen Figuren werden lediglich durch ihre Funktion als Ex-Frau, Haushälterin, (Groß-)Mutter und (potentielle) Sexualpartnerin definiert.

Den Weg, den er mit Two and a Half Men eingleschlagen hat, setzt Lorre seit 2007 mit The Big Bang Theory (CBS) fort. Auch hier hat er sich von einem britischen Format inspirieren lassen. In einigen Aspekten erinnert The Big Bang Theory deutlich an The IT Crowd (Channel 4). Im Unterschied zu letztgenannter verzichtet Lorre jedoch weitgehend auf medienreflexive Elemente und gesellschaftskritische Einwürfe. Stattdessen werden Klischees, im konkreten Fall das des hyperintellektuellen aber weltfremden männlichen Nerds und der dummen blonden Freundin bis zur Unerträglichkeit reproduziert. Die derzeit im Trend liegende Hinterfragung des eigenen Narrativs – bekannte Beispiele sind die unzuverlässige Erzählung bei How I Met Your Mother (CBS) oder die fast schon brechtsche Thematisierung des Formats Sitcom bei Till Death (Fox) – greift Lorre nicht auf. Stattdessen sehen wir die frühen 1990er unter umgekehrten politischen Vorzeichen.

Der gesellschaftliche Backlash macht auch vor dem Sitcom-Genre nicht halt. Der Erfolg der regressiven Rollenbilder sowie der unfassbar eindimensionalen Figuren in Two and a Half Men und The Big Bang Theory sind ein deutliches Indiz dafür.


3 Kommentare:

  1. Würde ich nicht so negativ sehen. Eine schrecklich nette Familie war noch niveauloser als Two and a half men. Ich habe Roseanne übrigens gerne gesehen.

    Immerhin ist Jon Cryer der beste nonverbale Komiker seit Rowan Atkinson. Man könnte die Serie ohne Ton anschauen und nur über seinen Gesichtsausdruck lachen (ok, das nervöse Stottern gehört auch dazu).

    Charlie Sheen wirkt daneben regelrecht blass und die Einzeiler-Sprüche sind auch schon ziemlich ausgewaschen.

    So gesehen wird sich der Verlust in Grenzen halten, wenn Sheen geht, allerdings musste sich Sheen nicht verstellen - er hat sich selbst gespielt...

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  2. In großen Teilen gebe ich dir recht. Nur bei 'The Big Bang Theory' bin ich in gewissen Teilen anderer Meinung. Die Serie strotzt selbstverständlich nur so vor Klischees, kann aber durch die Charakterkonstellationen (genialer Nerd ist dort nicht gleich genialer Nerd) unglaublich viel wettmachen.
    'Two and a half men' war hingegen nur eine Staffel lang annehmbar. Der Grundgedanke war nett (Mann nimmt Bruder und dessen Sohn auf) und hat in den ersten Folgen schon gezündet. Doch irgendwann versteifte man sich darauf, die Charaktere eindimensional zu lassen, wodurch jede Folge der vorangegangenen glich. Dieselben (teils niveaulosen) Witze, dieselben (dürftigen) Plots - und das über so viele Staffeln. Da bringt es auch keinen Pluspunkt, wenn die Story einigermaßen linear von folge zu Folge gleitet.

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  3. Jeder der angesprochenen Kritikpunkte an Two and a half men ist gut nachvollziehbar.

    Nichts desto trotz finde ich sie (also die Kritik) eindimensional. Das souveräne Image von Charlie Harper als Frauenheld bröckelt in mehreren Folgen der Serie. Immer wieder wird deutlich, dass der Protagonist mit seiner Alkohol-, Spiel- und Sexsucht verzweifelt versucht, seine schwere Beziehungsstörung zu kompensieren. Es ist offensichtlich, dass dieser Lebensstil langfristig in mehrfacher Hinsicht nur ins Verderben führen kann. Dass der "coole Onkel" nun tatsächlich als Leiche aus der Serie scheidet, bestätigt die Befürchtungen, die Charly in mehreren Folgen quälen.

    Das ist aus meiner Sicht kein Argument, die zweifellos sexistischen Klischees, die hier transportiert werden, am Samstag im Hauptabendprogramm in Doppelfolge als öffentlich rechtlichen Auftrag zu verkaufen.

    Allerdings gehört zu einer vollständigen Analyse vonTwo and a half men auch diese Sichtweise.

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