Sonntag, 19. Februar 2012

Star Trek: Wofür bürgen die Borg?

Die Soziologin Andrea zur Nieden hat sich in einer äußerst lesenswerten Monographie mit den Borg beschäftigt. Was in Star Trek als "radikal Anderes" vernichtet werden soll, ist - so die zentrale These des Buches - "nichts weiter als das Projektionsbild der eigenen Ängste vor der Auflösung des Subjekts in ein bloßes Element totalitärer Technologie." (S. 149)

Andrea zur Nieden geht in Anlehnung an Theodor W. Adorno und Max Horkheimer davon aus, dass es sich bei den Produkten der Kulturindustrie um einen Ausdruck von notwendig falschem Bewusstsein handelt. Sie sollen dem bestehenden Sinn verleihen und die Anpassungsleistung der BürgerInnen vollziehen helfen. "Der Star Trek zugrundeliegende Mythos ist einfach: wir können die Zukunft meistern, wenn wir uns an die Grundwerte der westlichen Zivilisation halten." (S. 42)

Die Gegenwart in ideologischer Form

Zur Nieden liefert einen kurzen Abriss über die Geschichte der Science Fiction, die zumeist eine Mischung aus Reiseroman und Western darstellt - nur eben in der Zukunft bzw. im Weltraum. Statt tatsächlich etwas über die Zukunft auszusagen, reflektieren Science Fiction Formate die Probleme der Gegenwart in ideologischer Form. Die behaupteten Utopien in Science Fiction Serien sind deshalb zwangsläufig inkonsistent und widersprüchlich. Star Trek bildet diesbezüglich keine Ausnahme.
"Trotz der vorgeblichen Abschaffung des Geldes und des Marktes bestehen Arbeitsfetischismus, Leistungszwang, Selbstdisziplinierung und Konkurrenz um die Posten in der Hierarchie unvermindert fort. Der bürgerliche Zwangscharakter gilt offenbar ahistorisch so sehr als Wesen des Menschen, daß die Star-Trek-Macher sich auch für die Zukunft gar nichts Schöneres wünschen können." (S. 47)

Außerirdische Gesellschaften haben in Star Trek zumeist die Funktion des für das Ich konstitutive Außen. Sie sind "eine Projektionsfläche dessen, was das Subjekt in sich bekämpfen muß, um überhaupt es selbst, das heißt identisch, zu werden" (S. 53). Bei Star Trek handelt es sich um eine Form der Science Fiction, in der eher "die Vertrautheit der westlichen, durchkapitalisierten Welt reflektiert" (S. 32-33) wird und weniger um den im Vorspann versprochen Aufbruch in Welten, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Radikal anders oder unheimlich vertraut?

Erst als die Borg in das Star Trek Franchise eingeführt werden, erscheint ein radikal Anderes. Doch auch sie sind bei näherer Betrachtung nur ein verzerrtes Spiegelbild der Föderation. Die Borg dienen dazu uns als Subjekte zu versichern, so die zentrale These von zur Nieden. Mit den Borg wird die "bürgerliche Angstlust vor dem Auf- oder Untergehen in der totalitären Masse" (S. 15) bedient und die Grenzen zwischen vermeintlich böser und vermeintlich guter Technik verhandelt. Sie sind das konstitutive Außen, "mithilfe dessen das bürgerliche Subjekt sich seiner eigenen 'Menschlichkeit' versichern soll." (S. 56)

Diese Sichtweise ist umso plausibler wenn man sich die in der Föderation stattfindende Cyborgisierung vergegenwärtigt. Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen im Star Trek Universium. Nicht nur gibt es Androiden wie Data (Brent Spiner) oder das in menschlicher Gestalt auftretende medizinisch-holographische Notfallprogramm (Robert Picardo). In der Föderation des 24. Jahrhunderts scheinen auch künstliche Organe Normalität und sogar künstliche Gehirne im Bereich des Möglichen zu sein. Im Gegensatz zu den Borg werden die von der Föderation angewandten Biotechnologien zumeist als dem Menschen dienlich und deshalb letztlich unproblematisch dargestellt. Was nun den Menschen im Unterschied zur Maschine ausmacht, wird jedoch immer unklarer. Die aus dieser Unklarheit resultierenden Ängste werden von den Star Trek MacherInnen abgespalten und in die Borg hineinprojiziert.
"Diese Angst vor der eigenen Überflüssigkeit wird nun an den Borg abgearbeitet, während Data und der Doktor eher verwirrende Gegenüber des Menschen sind, die leichter auf die andere Seite der imaginären Grenze zwischen Menschen und Technik geschoben werden können." (S. 90)
Auch die von den Borg betriebene Assimilierung kann als Zerrbild der Föderation gelesen werden, die letztlich ebenfalls expansiv orientiert ist. "Die Oberste Direktive verhehlt nur schlecht die arrogante Selbstgewißheit, mit der anderen Lebensformen stets die eigenen Werte als die besten präsentiert werden" (S. 127), schreibt zur Nieden.

Männlichkeit in Gefahr – Männlichkeit gerettet!

Zur Nieden befasst sich auch mit der sexistischen Komponente der Borg-Darstellung. Generell kann man sagen, dass die Darstellung der Geschlechtlichkeit der Borg äußerst inkonsequent ist. Als sie noch das ganz Andere verkörperten, galten sie als geschlechtslos. Mit ihrer Vermenschlichung wird dieser Erzählstrang zunehmend aufgegeben: "Als Du vermenschlicht wird, erschien er von Anfang an als männliches Wesen - die vorher beschworene radikale Differenz war also verschwunden." (S. 118 – zur Nieden bezieht sich hier auf die Folge "I, Borg" in der fünften Staffel von Star Trek: The Next Generation)

In den früheren Folgen war das noch völlig anders. Beispielsweise in der Doppelfolge "The Best of Both Worlds" (Staffel 3, Folge 26 / Staffel 4, Folge 1). "Jegliche Ambivalenz", so zur Nieden über die Assimilierung und schlussendliche Rettung von Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) "wird kassiert zugunsten eines happy end mit dem wiederaufgerichteten männlichen Subjekt." (S. 106) In der nächsten Folge kehrt Picard auf die Erde zurück und arbeitet das Borg-Trauma gemeinsam mit seinem Bruder Robert auf.
"Der infragegestellte, weil cyborgisierte Mann muß an seinen Ursprung, in seine Heimat zurückkehren (durch den Kampf im Schlamm ikonographisch unterstützt), um wieder Kraft zu schöpfen und im Gegenbild des Bruders Bestätigung zu finden." (S. 107)
Im Film Star Trek: First Contact (Regie: Jonathan Frakes) wird die Bedrohung durch die Borg erstmals in der Figur einer Borg-Königin (hier gespielt von Alice Krige) personifiziert. Sie erscheint als "femme fatal, deren heimlicher Phallus (das heißt ein sexuelles Begehren mit der Tendenz, den Mann zu verschlingen) den männlichen Körperpanzer zu penetrieren versucht" (S. 119). Zur Nieden interpretiert den Film als als Kampf einer verunsicherten Männlichkeit gegen die Depotenzierung des Subjekts. Ebendiese Depotenzierung wird als weibliche gedeutet.

In Star Trek: Voyager wandelt sich die Darstellung der Borg endgültig. Mit Seven of Nine (Jeri Ryan) wird sogar eine Borg in die Crew der Voyager (und in das sexuelle Begehren vieler Star Trek Fans) integriert. Seven of Nine - so die These von zur Nieden - performt Gender ohne Sexualität. Gerade deshalb ereilt sie nicht das übliche Schicksal der femme fatal, nämlich der frühe Tod. Stattdessen "kann [sie] nach und nach vermenschlicht und integriert werden." (S. 135) Doch ihre Integration ist - wie so oft im Star Trek Kanon - letztlich eine in patriarchale Normen. Suggeriert wird, "daß auch intelligente und souveräne Frauen sich eigentlich nach etwas anderem sehnen: nach einem liebenden Mann an ihrer Seite, der ihnen sagt, was richtig ist; langfristig natürlich auch nach Kindern." (S. 139)

Andrea zur Nieden
GeBorgte Idenität. Star Trek als kulturindustrielle Selbstversicherung des technisierten Subjekts
ça ira 2003
150 Seiten
Leseprobe


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