Samstag, 5. Mai 2012

Verbrechen und Gebrechen

Die letzten Jahre ihres Lebens verbringen viele alte Menschen in einem TV-Paralleluniversum, dass jüngeren größtenteils verborgen bleibt. Es gibt Sendungen, die sieht man defacto nur, wenn man bei Menschen über 70 zu Gast ist. Heute in Österreich (ORF 2) ist so eine Sendung.

Ein riesiger Fernseher und der Ton bis zum Anschlag aufgedreht. Sind diese technischen Voraussetzungen erfüllt, steht einer Programmauswahl, die nicht viel mehr braucht als ORF 2 und das ZDF, nichts mehr im Weg. Entscheiden sich die Alten für ORF 2, ist nach Die Barbara Karlich Show - sieht man von einem kurzen Abstecher zur 17 Uhr Ausgabe der Zeit im Bild ab - Heute in Österreich der zentrale Fixstern geriatrischer Fernsehinformation.

Es handelt sich um eines von mehreren Spaltungsprodukten von Willkommen Österreich (der Senioren-Sendung, nicht der Late-Night-Show mit Stermann und Grissemann). Mit dem Ende von Willkommen Österreich im Zuge der letzten Programmreform wurden Wolfram Pirchner, Elisabeth Engstler und Martina Rupp in Einzelhaft verlegt und die Agenden aufgeteilt: Heute in Österreich bringt Sex and Crime, Konkret übernimmt den KonsumentInnenschutz und was Sommerzeit, Herbstzeit, Winterzeit und Frühlingszeit tun, können wohl nicht einmal die verantwortlichen RedakteurInnen selbst mit Sicherheit sagen. Vielleicht geht es lediglich darum alte Menschen mit Nachdruck darauf hinzuweisen, welche Jahreszeit wir gerade haben (und ob die Heizung an- oder ausgestellt werden muss).

Empört Euch!

Heute in Österreich scheint für den Empörungshaushalt der Alten zuständig zu sein. Der Nachrichtenwert der behandelten Themen ist fraglich. Rund die Hälfte der Beiträge handelt von Ereignissen, die niemanden betreffen, außer jene, die dank Heute in Österreich Objekte der Berichterstattung werden.

Grob unterteilen lassen sich die Berichte in zwei Kategorien: Verbrechen und Gebrechen. In der Kategorie Verbrechen gab es am 2. Mai 2012 einbrechende RumänInnen, ein misshandeltes Baby, einen korrupten Arzt beim Bundesheer und mehrere Marihuanaplantagen im Burgenland. In der Kategorie Gebrechen wurde dem Publikum von einem tödlichen Bootsunfall, abgetrennten (und kurzfristig verloren gegangenen*) Fingerkuppen, einem Hundebiss in Niederösterreich und Sonartechnik für Blinde (das einzige, für einen größeren Personenkreis relevante, Thema in dieser Ausgabe) berichtet. In beide Kategorien passt ein Beitrag über mit Keimen verseuchten Stinkekäse, der vor zwei Jahren einigen Menschen das Leben gekostet hat. Außerdem ist das Auto von Laura Rudas explodiert. Es war ein Gebrechen, kein Verbrechen.

Während Pornos geil und Horror-Filme ängstlich machen, macht Heute in Österreich sein Publikum aggressiv und verständnislos. Man darf sich nicht wundert, warum viele alte Menschen so böse dreinschauen und es zu ihrem Hobby gemacht haben Kinder und Jugendliche in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Straße, in Parks und vor Schulen wegen Nichtigkeiten zur Sau machen. Der tägliche Konsum derartiger Sendungen erklärt es hinreichend.

Anmerkung:

[*] Mitarbeiter des Roten Kreuz haben sie versehentlich weggeworfen.


1 Kommentar:

  1. ORF 2 ist mit der ganzen Heimat- und Sozialporno-Scheiße der eigentliche Tiefpunkt öffentlich-rechtlicher TV-Kultur. ORF 1 ist verglichen damit richtig harmlos.

    Ich arbeite in der Altenbetreuung und kenne das von dir beschriebene Bild gut. Passiver TV-Konsum kombiniert mit Erregung über "die Ausländer", "pädophile Kinderschänder", "gemeingefährliche Drogendealer", "staatlich finanzierte Fäkalkunst"...
    Sendungen wie "Heute in Österreich" liefern der Wehrmachtsgeneration spitzen Vorlagen zum empört sein.

    AntwortenLöschen