Mit der Entscheidung die ORF Standorte im bestehenden ORF-Zentrum am Küniglberg zu bündeln, wurde eine große Chance verspielt. Das Funkhaus aufzugeben wäre - trotz der anhaltenden Kritik von Kulturschaffenden und RadiomacherInnen - dennoch richtig.
Das Funkhaus...
...wurde in den 1930er Jahren nach Plänen von Clemens Holzmeister erbaut und ist ein Resultat der austrofaschistischen Kulturpolitik. In die Architektur ist sowohl die Angst vor einem antifaschistischen Aufstand als auch die vor einem nationalsozialistischen Putsch eingeschrieben. Letzteres, obwohl der Austrofaschismus dem Nationalsozialismus in den späteren Jahren aktiv zugearbeitet hat, was sogar soweit ging, dass Nazis bereits vor dem Anschluss in die Regierung unter Dollfuß-Nachfolger Kurt Schuschnigg integriert wurden.
Zentral für die Konzeption des Funkhauses war aber mutmaßlich die Erfahrungen, die das austrofaschistische Regime während des Juliputschs 1934 machte. Damals wurde nicht nur das Bundeskanzleramt, sondern auch das RAVAG Gebäude von den Nazis besetzt und der Sendebetrieb kurzzeitig übernommen. Wie wichtig es ist, das Medium Radio zu kontrollieren, erkannten die Nazis frühzeitig und spätestens nach dem gescheiterten Putschversuch auch die austrofaschistische Führung. Obwohl die Festung Funkhaus eine steingewordene austrofaschistische Antwort auf den Juliputsch darstellte, wurde sie 1938 - wie ganz Österreich - kampflos an die Nazis übergeben. Das wiederum legt nachträglich den Verdacht nahe, dass die Angst vor einer neuerlichen antifaschistischen Revolte bei der Planung des Gebäudes eine größere Rolle spielte, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Mit dem Bau wurde 1935 begonnen, fertiggestellt wurde er 1939.
Im postnazistischen Österreich ist das Funkhaus, in dem der ORF - sieht man von Radio Wien ab - seine hochwertigen Radioprogramme produziert, ein Antagonismus. Errichtet wurde es von einem Regime, das 1933 das Parlament ausschaltete, SozialdemokratInnen und KommunistInnen bekämpfte, internierte und ermordete und damit einen konsequenten Widerstand gegen den Nationalsozialismus frühzeitig sabotierte. Heute scheint die Geschichte des Hauses weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein und sowohl namhafte Kulturinstitutionen als auch viele sehr gute JournalistInnen werden nicht müde, die Wichtigkeit des ORF Standorts in der vergleichsweise zentral gelegenen Argentinierstraße zu betonen.
Das ORF-Zentrum...
...wurde von 1968 bis 1975 in mehreren Etappen errichtet. Geplant wurde es von Roland Rainer, NSDAP-Mitglied und Architekturkoryphäe des postnazistischen Österreich. Rainer gelang es - wie vielen österreichischen UniversitätsprofessorInnen - trotz belastender NS-Vergangenheit, eine bemerkenswerte Nachkriegskarriere hinzulegen. Formal blieb er sich dabei erstaunlich treu und setzte die Bauformen, die er aus rassistischen, antisemitischen, antisozialistischen und militärstrategischen Motiven entwickelte, nach 1945 weitgehend bruchlos - allerdings mit unverfänglicheren Argumenten - fort.
In gewisser Weise folgt auch das ORF Zentrum architektonisch der militärischen Strategie der Aufstandsbekämpfung, die sich nicht gegen äußere FeindInnen, sondern gegen die Bevölkerung der Stadt Wien richtet. Im noblen, konservativen Villenbezirk Hietzing thront es wie eine Festung auf dem Küniglberg. Es ist öffentlich weder per U-Bahn noch per Straßenbahn erreichbar, sondern lediglich mit Buslinien, die wahlweise mit dem peripheren Bahnhof Wien Meidling oder dem Zentrum Hietzings verbinden.
Während die BBC erst kürzlich das traditionsreiche Television Center im Zentrum Londons verkauft hat und nun seine Zelte in der gentrifizierten nordenglischen ArbeiterInnenstadt Salford (quasi einem stadtgewordenen St. Marx) aufschlägt, geht der ORF in die entgegengesetzte Richtung und das in mehrfacher Hinsicht. Die BBC betreibt - ebenfalls aufgrund ökonomischen Drucks - eine Dezentralisierungspolitik, indem sie den zentralen Standort in der Hauptstadt veräußert. Gleichzeitig bleibt man - in verkleinerter, dezentralerer Form - im Zentrum Londons präsent.
Ein ORF-Zentrum in St. Marx...
...wäre eine Gelegenheit gewesen, sich von der antidemokratischen Architektur-Logik der Abschottung zu verabschieden und ein Zeichen für einen neuen, offeneren ORF zu setzen. In einem alten Schlachthofgelände, das an der Grenze des ArbeiterInnenbezirks Simmering und des sozial durchmischten Innenstadtbezirks Landstraße liegt, wäre der Begriff "Zentrum" wirklich gerechtfertigt.
Verkehrstechnisch ist St. Marx bereits jetzt gut mit den Straßenbahnlinien 18 und 71, mit der Flughafenschnellbahn S7 und dank Nachtbuslinien de facto rund um die Uhr erreichbar. Eventuell wäre auch bald ein U-Bahn Anschluss dazugekommen, so die Pläne für die U2 Südverlängerung nicht dem omnipräsenten Sparstift zum Opfer fallen.
Nicht verschwiegen werden soll, dass die geplante Zusammenlegung der Nachrichtenredaktionen - abhängig von der konkreten Umsetzung - äußerst problematisch sein kann. Gerade in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, in der manche Redaktionen ihre Fähnchen mehr und andere weniger nach dem von der jeweiligen Regierung geblasenen Wind richten, kann eine Zentralisierung für JournalistInnen, denen es um kritische und unabhängige Berichterstattung geht, fatal sein. Man Stelle sich eine zentralisierte ORF Information im Falle einer neuerlichen FPÖVP-Regierung, unter Leitung einer SympathisantIn der Selbigen, vor (...oder besser nicht).
hochinteressant, vielen dank!
AntwortenLöschenEin hier unerwähnter Aspekt, der die militärische Komponente der ORF-Standortwahl unterstreicht:
AntwortenLöschen"1940 wurde auf dem Gelände die Flak-Kaserne Küniglberg errichtet, die vor Kriegsende zerstört wurde."
http://de.wikipedia.org/wiki/ORF-Zentrum_K%C3%BCniglberg#Geschichte