Samstag, 28. Februar 2015

Die BDS Bewegung und die antisemitischen Bilder von Carlos Latuff (1): Karikaturen über Israel

In den letzten Wochen tauchten in Wien vermehrt Plakate mit der Aufschrift "Boycott Israeli Apartheid" auf. Beworben wird eine Veranstaltung von BDS Austria - geplant sind unter anderem "Flashmobs in der ganzen Stadt". BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions", ruft zum Boykott Israels auf, behauptet Israel sei ein Apartheidsstaat und stellt Forderungen, deren Erfüllung auf ein Ende des jüdischen Staates hinauslaufen würden. In dieser Artikelreihe geht es um die antisemitischen Bildstrategien von Carlos Latuff, der immer wieder als Zeichner für BDS in Erscheinung tritt.

Die BDS Bewegung und die antisemitischen Bilder von Carlos Latuff (2): Karikaturen über Israel und die Shoah
Die BDS Bewegung und die antisemitischen Bilder von Carlos Latuff (3): Das Kapital und die USA

Seinem Selbstverständnis folgend, kämpft der am 30. November 1968 in Rio de Janeiro geborene Karikaturist Carlos Latuff mit künstlerischen Mitteln gegen die Ungerechtigkeit auf der Welt. Dank des Internets als Verbreitungsmedium seiner Karikaturen, kann er sich einer weltweiten Fangemeinde erfreuen, die sich größtenteils - wie Latuff selbst - politisch links verortet. Andere sehen in Latuff einen rabiaten antisemitischen Hetzer. Ihm wird die systematische Verharmlosung der Shoah, Antiamerikanismus und ein von Verschwörungsdenken geprägtes Weltbild vorgeworfen, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt.

Tatsächlich hat Latuff trotz seiner oftmals als Rechtfertigung angeführten linken Identität keine Berührungsängste zu AntisemitInnen und HolocaustleugnerInnen. Als eine iranische Zeitung ein Preisgeld auf die beste "Holocaust-Karikatur" aussetzte, reichte auch Latuff eine seiner Zeichnungen ein und belegte den zweiten Platz.

Eine Auswahl von Karikaturen von Carlos Latuff sollen hier analysiert und auf ihren antisemitischen Gehalt befragt werden. Im ersten Artikel geht es um Karikaturen, die einen Bezug zu Israel und dem Nahostkonflikt haben. Im zweiten Artikel möchte ich auf Latuff-Karikaturen eingehen, die den Nahostkonflikt und die Shoah zueinander in Beziehung setzen. Als Vergleichswert und um zu zeigen inwiefern Latuffs künstlerisches Schaffen auch abseits des Nahostkonflikts von pathischer Projektion geprägt ist, befasst sich der dritte Teil der Artikelreihe mit Latuff-Karikaturen, die keinen Bezug zu Israel haben.

Israel und die USA

Das Verhältnis Israels zu den USA spielt für Latuff in seiner Beurteilung der israelischen Politik scheinbar eine zentrale Rolle. Abbildung 1 (sämtliche Abbildungen finden sich am Ende des Textes, Anm.) ist auf das Jahr 2002 datiert und zeigt Ariel Sharon, George Bush und einen islamistischen Terroristen. Sharon liegt in einem Krankenbett und säugt ein Baby. Das Baby hat das Gesicht eines Erwachsenen und soll scheinbar einen Terroristen mit Sprengstoffgürtel darstellen. Bush steht am Krankenbett und legt seinen Arm schützend um Ariel Sharon, der den infantilisierten Terroristen in Händen hält. Das Bild suggeriert, Israel würde unterstützt von den USA Terroristen heranziehen, wäre also selbst für den islamistischen Terrorismus verantwortlich. Latuff betreibt eine Täter/Opfer-Umkehr. Diese Deutung wird durch die Darstellung des Terroristen als Säugling verstärkt. Er wird nicht als handelndes Subjekt gezeichnet, sondern wird durch die israelische Politik quasi zwangsläufig zum Terroristen. Latuff lässt hier keine andere Möglichkeit politischer Entwicklung zu und offenbart ein deterministisches Weltbild. In der Darstellung Ariel Sharons als verweiblichten jüdischen Mann, greift Latuff auf ein Motiv des christlichen Antijudaismus zurück. Die Zuschreibung weiblicher Eigenschaften auf männliche jüdische Körper hat eine lange Tradition in antijudaistischen Mythen. Etwa in diversen Ritualmordlegenden, in denen behauptet wird, jüdische Männer müssten christliche Kinder ermorden, da sie menstruieren und nur auf diesem Weg den Blutverlust kompensieren können.[1]

Abbildung 2 ist auf das Jahr 2007 datiert. Auf ihr ist ein Boxring zu sehen, links darüber befindet sich ein überdimensionaler Soldat der israelischen Armee, dem rechts oben ein überdimensionaler Uncle Sam gegenübergestellt wird. Im Boxring kämpfen zwei nicht erkennbare Personen. Erst durch die Beschriftung des Rings ist erkenntlich, dass es sich um einen Kampf der Hamas gegen die Fatah handelt. Der israelische Soldat fragt Uncle Sam: "Who do you think will win the fight?". Uncle Sam antwortet: "You and me of course! He! He! He!". Interessant sind hier vor allem die Zähne des israelischen Soldaten sowie von Uncle Sam. Sie sind zugespitzt, wie wir es Monster- oder Dämonen-Abbildungen kennen. Mit dieser Dämonisierung entmenschlicht Latuff den israelischen Soldaten und bedient zudem ein weiteres antijudaistisches Klischee. Das vom Juden als Dämon oder Teufel.

Während die USA und Israel auf Abbildung 1 und Abbildung 2 noch als gleichberechtigte Partner gezeichnet werden, konstruiert Latuff auf Abbildung 3 ein klares Hierarchieverhältnis. Auf der im Jahr 2008 veröffentlichen Zeichnung ist israelische Premierminister Ehud Olmert zu sehen, der über eine Drehorgel den als Affen dargestellten US-Präsidenten George Bush fernsteuert. Letzterer trägt einen ihn als Diener kennzeichnenden Hut sowie die Farben der US-Fahne in Form einer kurzen Hose und eines T-Shirts. Der Affe gibt die Laute "Attack Iran! Attack Iran!" von sich. Mit dieser Karikatur suggeriert Latuff, die Außenpolitik der USA sei von Israel ferngesteuert. In den USA käme es demnach zu keiner unabhängigen politischen Willensbildung, sondern es würden lediglich die direkt aus Israel kommenden Anweisungen ausgeführt. Zwar verzichtet Latuff hier auf einen antijudaistischen oder antisemitischen Zeichenstil. Er legt der BetrachterIn allerdings eine von ihm imaginierte israelische Allmacht nahe, die Parallelen zu vielen Weltverschwörungstheorien des modernen Antisemitismus aufweist.

Abbildung 4 bezieht sich auf amerikanische Waffenlieferungen an Israel. Auf dem Bild aus dem Jahr 2007 ist ein Kind mit roten Haaren, Kippa und einem T-Shirt zu sehen, auf dem die Fahne Israels abgebildet ist. Das Kind steht auf einer Landkarte des nahen Ostens an der Stelle, an der sich Israel befindet und ist schwer bewaffnet, u.a. mit Atomraketen und einem Maschinengewehr, auf dem ein "Made in USA"-Schild angebracht ist. Auf der Landkarte ist an dieser Stelle nur "Palästina" eingezeichnet. Jedoch steht das Kind auf einem Schild mit der Aufschrift "Israel", dass nachträglich auf den "Palästina"-Schriftzug genagelt wurde. Mit dieser Karikatur offenbart Latuff seine staatstheoretischen Defizite. Er legt nahe, Israel sei ein künstlicher Staat, der in den nahen Osten gepflanzt wurde. Dem wäre entgegen zuhalten, dass alle Staaten künstliche Gebilde darstellen. So auch die Israel umgebenden Staaten und ein bisher nicht existierender palästinensischer Staat. Für Latuff ist Israel jedoch die Ausnahme. Er weist auf die Bewaffnung der israelischen Armee hin, ganz so als hätten die Nachbarstaaten Israels keine Waffen und Armeen. Wenn auch hier nicht von offensichtlichem Antisemitismus gesprochen werden kann, so werden in der Verzerrung der politischen Realität und der einseitigen Betonung der Bewaffnung sowie der "Künstlichkeit" Israels, zahlreiche Projektionen offensichtlich.

Israel im Vergleich

Häufig stellt Latuff in seinen Zeichnungen Vergleiche an. Er greift eine auch in vielen Palästina-Solidaritätsgruppen verbreitete Gleichsetzung auf, wenn er die Situation der PälestinenserInnen mit jener der schwarzen Bevölkerung in Südafrika während der Apartheid gleichsetzt. Dies geschieht auf Abbildung 5 sowie auf Abbildung 6. Abbildung 5 zeigt eine Frau aus Südafrika, die gemeinsam mit einer Palästinenserin an einem Grab trauert, über dem der Schriftzug "Apartheid." zu lesen ist. Die Karikatur wurde im Jahr 2008 veröffentlicht. Abbildung 6 entstand im Jahr 2002 und ist Teil der "I am Palestinan!"-Reihe, die im kommenden Artikel, der sich mit Latuff Karikaturen in Bezug auf Israel und die Shoah beschäftigt, noch einmal behandelt werden wird. Auch hier wird ein Vergleich zur Apartheid in Südafrika gezogen. Eine Südafrikanerin wird von einem Polizisten daran gehindert, eine Toilette für weiße zu benutzen, worauf sie mit "I am Palestinan!" antwortet. Ähnlich wie die noch folgenden Vergleiche, entbehrt die Gleichsetzung Südafrikas während der Apartheid mit dem heutigen Israel jeglicher Grundlage und stellt letztlich eine Verharmlosung der rassistischen Gewalt in Südafrika dar.

Weitere Darstellungen der "I am Palestinan!"-Reihe vergleichen Israel mit dem Ku-Klux-Klan (Abbildung 7), der US-Armee in Vietnam (Abbildung 8), der chinesischen Staatsgewalt in Tibet (Abbildung 9), weißer us-amerikanischer Gewalt gegen die amerikanischen UreinwohnerInnen (Abbildung 10) sowie mit mexikanischen Militärinterventionen in Chiapas (Abbildung 11). Derartige Vergleiche lassen analytische Schärfe vermissen, da sie enthistorisieren und letztlich immer auf eine Gleichsetzung mit der heutigen Situation in Israel und Palästina hinauslaufen. Eine Reflexion darauf, dass die Gleichsetzung in den genannten Fällen eben nicht funktioniert, fehlt völlig, obwohl sich sogar in den Karikaturen Latuffs selbst dem Zeichner mutmaßlich nicht bewusste Hinweise darauf finden lassen.

"No criticism allowed" - Abwehr des Antisemitismusvorwurfs

Zu Recht wird Carlos Latuff aufgrund seiner Karikaturen Antisemitismus vorgeworfen. Einige seiner Zeichnung reagieren auf diesen Vorwurf.

Abbildung 12 wurde im Jahr 2007 veröffentlicht. In blauer Farbe steht links oben das Wort "Israel" in fetten Großbuchstaben. Darunter - ebenfalls im linken Teil des Bildes in schwarzen Großbuchstaben der Schriftzug "No criticism allowed". Die rechte Bildhälfte wird durch einen mit blauem Faden zugenähten Mund dominiert. Rechts unten befindet sich ein Davidstern. Latuff stellt hier die Behauptung in den Raum, Kritik an Israel sei nicht erlaubt. Wer in der Lage wäre, solche Kritik zu verbieten, lässt er jedoch offen.

Auf Abbildung 13, die im Jahr 2006 veröffentlicht wurde, teilt Latuff schließlich mit, wer seiner Meinung nach Kritik an Israel unterbinde. Die Karikatur zeigt einen Globus mit Augen, Nase und einer Hand. Die Hand hält der Betrachterin mehrere Zettel entgegen. Auf dem obersten ist "Israel's crimes against Palestinians" zu lesen. Der Mund des Globus ist nicht zu sehen. Er wurde mit einem Klebeband, auf dem "Antisemitism" zu lesen ist, zum Schweigen gebracht. Das Klebeband wird von einem durch seine Kippa als Juden und durch sein T-Shirt, auf dem die israelische Fahne zu sehen ist, als Repräsentant Israels erkennbaren Mann ausgerollt. Die 2006 veröffentlichte Zeichnung trägt zur Entschlüsselung der nachkommenden Karikaturen bei. Israelische Juden und Jüdinnen sind es - so Latuff - die egal welche Kritik an Israel, als antisemitisch bezeichnen und KritikerInnen weltweit den Mund verbieten würden. Die Nähe Latuffs zu antisemitischen Vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung, wird hier abermals deutlich.

Abbildung 14 wurde im Jahr 2007 veröffentlicht und kann als "extended Version" von Abbildung 12 bezeichnet werden. Seine auf Abbildung 12 formulierte Behauptung, Kritik an Israel sei nicht erlaubt, versucht Latuff auf Abbildung 14 mit zahlreichen Beispielen zu untermauern. Übertitelt ist diese Karikatur mit den Worten "How to get rid of Anti-Semitism", wobei das Wort "Anti-Semitism" mit blutigen Buchstaben geschrieben ist. "Just watch your mouth and everything will be alright" steht in etwas kleineren Buchstaben darunter geschrieben. Zur Veranschaulichung listet er fiktive Fallbeispiele dafür auf, bei denen aus seiner Sicht legitime Israelkritik als antisemitisch dargestellt würde. Die Behauptungen kratzen teilweise stark an der Wahnsinnsgrenze. Etwa wenn Latuff schreibt, dass Menschen die israelische Panzer als ebensolche bezeichnen mit Antisemitismus-Vorwürfen rechnen müssten. Auch wer ein totes palästinensisches Kind als ebensolches benennt oder darauf hinweist, dass in den palästinensischen Autonomiegebieten auch ZivilistInnen leben, müsste mit Antisemitismus-Vorwürfen rechnen.

Latuff lässt keine Kritik am Antisemitismus seiner Zeichnungen zu. Mit dem von ihm erhobenen Gegenvorwurf, wer Antisemitismus kritisiere, mache sich zum Propagandainstrument Israels, verunmöglicht er jede sachliche Kritik an seinen Karikaturen. Die angeführten Karikaturen belegen, dass Latuff jeglicher Begriff von Antisemitismus als historisches und gegenwärtiges Gewalt- und Diskriminierungsverhältnis fehlt. Seine Solidarität ist selektiv.

Quelle:
[1] Vgl. Gerhard Scheit: Verborgener Staat - Lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus, Ca ira: Freiburg 1999, S. 55.

Abbildungen:



1 Kommentar:

  1. Wo wird Latuff denn so veröffentlicht? In welchen Zeitungen zum Beispiel?

    AntwortenLöschen