Mittwoch, 31. Oktober 2012

"Twitter Equality Quotient" (4): Medien- und Fernsehkritik

Der letzte Artikel in der Reihe zu Geschlechterverhältnissen auf Twitter, setzt sich mit den Retweets fernseh- und medienkritikischer Accounts auseinander und betreibt sozusagen eine Nabelschau in Bezug auf die eigene Szene und deren Retweet-Politiken.

In den vorangegangenen Artikeln wurde gezeigt, dass sich patriarchale Strukturen auf Twitter sowohl im Bereich TV-Journalismus als auch in der Unterhaltung u.a. in der Anzahl der Retweets abbilden, so man den Versuch unternimmt, sie nach Geschlecht aufzuschlüsseln. Twee-Q ist ein Tool, das dies anhand der Vornamen versucht. Zugegebenermaßen ein prekärer Versuch, da Twitter selbst seine NutzerInnen nicht nach Geschlecht kategorisiert. Dennoch lassen sich an den Ergebnissen von Twee-Q Tendenzen ablesen. Das gilt auch für den Bereich der Fernseh-und Medienkritik, in dem sich vielsagende Gaps auftun.

Philipp Walulis (@walulis), der zunächst auf Tele 5 und seit einiger Zeit auf EinsPlus das Fernsehkritik Format Walulis sieht fern gestaltet, retweetet, glaubt man Twee-Q, zu 100 % Männer und erreicht damit einen "Twee-Q" von 0. Allerdings ist die Gesamtzahl der Retweets in seinem Fall sehr niedrig und das Ergebnis deshalb nur bedingt aussagekräftig. Weit mehr Retweets und trotzdem kein viel besseres Ergebnis erreicht der Twitter-Account des von Holger Kreymeier betriebenen Vlogs Fernsehkritik TV (@fernsehkritiktv). 94 % der Retweets stammen von Männern und nur 6 % von Frauen. Das ergibt einen "Twee-Q" von 0.6. Der TV-Kritiker Charlie Brooker (@charltonbrooker), der mittlerweile zum sehr aktiven Fernsehmacher wurde und zuletzt die dystopische Mediensatire Black Mirror (Channel 4) produziert und am Drehbuch der Slapstik Krimireihe A Touch of Cloth (Sky) mitgewirkt hat, retweetet in einem 88/12 Verhältnis zu Gunsten der Männer und kommt damit auf einen Wert von 1.4.

Der deutsch Medienbranchendienst DWDL (@dwdl) retweetet zu 84 % Männer und zu 16 % Frauen, was einen "Twee-Q" von 1.8 ergibt. Der kress Mediendienst (@kressZwitscher) retweetet in einem Verhälntis von 80/20 zu Gunsten der Männer und erreicht damit einen "Twee-Q" von 2.6. Etwas besser schneidet Helge Fahrnberger (@helge), der Initiator des Medenwatchblogs Kobuk, ab. Er retweetet zu 78 % Männer und zu 22 % Frauen. Twee-Q errechnet daraus einen Equality-Wert von 2.8. Quotenmeter (@quotenmeter), neben kress und DWDL der dritte große deutsche Branchendienst, retweetet in einem Verhältnis von 77/23 zugunsten der Männer und kommt damit auf einen "Twee-Q" von 3.

Der Twitter Account des von Anita Sarkeesian betriebenen Feminist Frequency Vlog (@femfreq) retweetet zu 68 % Männer und zu 32 % Frauen und kommt damit auf einen knapp unterdurchschnittlichen "Twee-Q" von 4.6. Vergleichsweise ausgeglichen retweetet der Acount von Etat (@etatat). Dort werden zu 59 % Männer und zu 41 % Frauen retweetet, was einen überdurchschnittlichen "Twee-Q" von 7 ergibt.

Und wie sieht es mit dem kaputten Fernseher aus? Twee-Q sagt: "@fernseherkaputt retweeted 52% men and 48% women. This gives a Twee-Q of 9.4." Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. In diesem Zusammenhang soll der Gender-Gap in der Tag-Cloud nicht verschwiegen werden. Auf der Startseite unter "Schlagwörter" aufgelistet werden derzeit nur Personen, die in mindestens vier Blog-Artikeln erwähnt werden. Anfang September waren das neun Männer und nur drei Frauen. U.a. durch diese Artikelreihe verschlechterte sich das Verhältnis seitdem weiter auf 13:4. Es gibt also Aufholbedarf.

Am besten schnitten wenig überraschend dezidiert feministische Accounts ab. Beate Hausbichler (@b_hausbichler), die auf diestandard.at viele lesenswerte Texte zur Fernsehauge Rubrik beisteuert, retweetet laut Twee-Q zu 61 % Frauen und zu 39 % Männer. Der Twitter-Account zum von Brigitte Theißl betriebenen Denkwerkstatt Blog (@denkwerkstatt) retweetet zu 67 % Frauen und zu 33 % Männer. Auf die exakt gleichen Werte kommt der Twitter-Account des feministischen Filmkritik Netzwerkblog Bitchflicks (@bitchflicks).

Auffällig ist, dass die Werte umso besser sind, desto mehr sich die Fernseh- bzw. MedienkritikerInnen in einem gesellschaftskritisch-feministischen Feld positionieren. Auch der Frauenanteil in den jeweiligen Projekten, dürfte zusätzliche Impulse in Richtung ausgeglichenes Retweet-Verhältnis geben. Accounts von Männern schnitten tendenziell deutlich schlechter ab, als Accounts von Frauen.

Es ist schade, wenn TV- und Medienkritik, was die Frage geschlechtsspezifischer Bewertung von Information betrifft, die Medienanstalten und TV-JournalistInnen, die Gegenstand ihrer Kritik sein müssten, imitieren. Diese - ich hoffe - unbeabsichtigte Reproduktion herrschender geschlechtsspezifischer Repräsentation gilt es zu hinterfragen und bewusst zu verändern.

"Twitter Equality Quotient" (1): TV-Journalismus in Österreich
"Twitter Equality Quotient" (2): Unterhaltung
"Twitter Equality Quotient" (3): Fernsehsender

Disclaimer
Sämtliche Abfragen wurden zwischen 2. und 3. September 2012 durchgeführt. Alle genannten Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Sie geben zwar eine Tendenz wieder - wer sich tatsächlich hinter den jeweiligen Accounts verbirgt, ist anhand des Twitter-Profils aber oft nicht eindeutig auszumachen. Erst recht nicht, wenn die Abfragen - wie bei Twee-Q - automatisiert passieren. Die Veröffentlichung dieser Zahlen ist nicht als Angriff auf einzelne Accounts und die dahinterstehenden Personen zu verstehen, sondern soll als Denkanstoß bezüglich des individuellen Retweetverhaltens dienen.


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