Sonntag, 9. September 2012

Besser kein Adorno-Preis

Der von der Stadt Frankfurt gestiftete und mit 50.000 Euro dotierte Theodor-W.-Adorno-Preis ist nicht erst seit der Entscheidung, ihn Judith Butler zu überreichen, kritikwürdig. 2009 hat ihn Alexander Kluge erhalten. 1995 wurde er an Jean-Luc Godard verliehen.

© totenstalking
"Man kann [ihn] ja erst einmal verurteilen als Nationalsozialisten. Ja? Und dann anschließend fragen: 'Was hat er da gemacht?' Denn manche Nationalsozialisten haben nur Bier getrunken und Schinken gegessen. Ja? Andere haben organisiert und Straßen gebaut und die anderen haben hier Filme gemacht."[1] Diese Aussagen stammen von Alexander Kluge und beziehen sich auf den Regisseur Veit Harlan, der für den antisemitischen Hetzfilm Jud Süß und zahlreiche andere NS-Propagandafilme verantwortlich ist. Dass Harlan Antisemit ist, steht für Kluge keineswegs fest. Er wolle das "erst prüfen"[2]. Einige Jahre nach diesen Aussagen erhält Kluge den Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt.

"Palästina strebt nach Unabhängigkeit, wie das Kino", behauptet Godard und liefert damit weder eine sonderlich intelligente Einschätzung des Nahostkonflikts, noch eine besonders tiefgehende Analyse der Kulturindustrie. Kein Zufall, sieht er sich doch mutmaßlich auch nicht als Teil der selben, sondern - so er mit dem Begriff überhaupt etwas anfangen kann - als ihr radikalster Kritiker. Was den Nahostkonflikt betrifft, bezieht er ohnehin klar Position, versteht sich als Antizionist und möchte nichts davon hören, dass das sowie die palästinensischen Bewegungen, die er filmisch unterstützte, auch nur irgendetwas mit Antisemitismus zu tun haben könnte(n). Auch Godard ist Adorno-Preisträger.

Obwohl ich große Teile der linken Kritik an Butler nachvollziehen kann, bin ich mir über die Motivation mancher Kritiker[3] nicht ganz im Klaren. Oftmals scheint es so, als blicke der eine oder andere an sich herab, sieht seinen gigantischen Penis und denkt sich: "Das kann keine Konstruktion sein!" Das ist wiederum ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit einer feministischen Theoretikerin.

Doch auch Butler setzt sich nicht ernsthaft mit der Kritik an ihren antizionistischen Positionen auseinander, die unverhohlene Boykott-Aufrufe gegen Israel und eine Verklärung von Organisationen wie Hamas und Hisbollah als Teil einer progressiven "globalen" Linken - was immer das auch sein soll - mit einschließen. Das von den reflektierteren VerteidigerInnen der Preisvergabe an Butler gerne vorgebrachte Argument, ihre Kritik sei eine in einem amerikanischen Kontext geäußerte und deshalb nicht nach europäischen oder gar deutschen Maßstäben - was immer das auch sein soll - zu bewerten, geht nicht auf. Zum einen wiederholt und relativiert Butler ihre Aussagen auch in deutschen Mainstream-Medien (wie zuletzt in der Frankfurter Rundschau). Zum Anderen ist auch in der amerikanischen Linken struktureller wie expliziter Antisemitismus weit verbreitet (man denke nur an Occupy Wallstreet als jüngstes Beispiel). Sich auf eine "Ich bin Jüdin, ich darf das" Position zurückzuziehen, blendet aus, dass alles, was sie sagt, keineswegs nur von Juden und Jüdinnen wahrgenommen wird, sondern - durch ihre akademische wie außerakademische Popularität - nicht wenigen AntisemitInnen zur Immunisierung gegen Kritik dient.

Einen Theodor-W.-Adorno-Preis an Butler, Kluge oder Godard zu vergeben, ist ein bisschen so, als würde man auf den Frankfurter Friedhof gehen, auf das Grab von Gretel und Theodor W. Adorno spucken und hinzufügen, die beiden hätten es so gewollt. Es ist ein zynischer Tanz auf dem Grab eines Theoretikers, dessen radikale Gesellschaftskritik ohne einer radikalen Kritik des Antisemitismus nicht zu denken ist. Zugleich gilt jedoch: Wer die Vergabe eines nach Adorno benannten Preises an Judith Butler kritisiert, darf über Adorno-Preisträger wie Alexander Kluge, Jean-Luc Godard und auch noch manch anderen nicht schweigen. Sonst ist es eine unvollständige Kritik, der es mehr um ein Bedienen antifeministischer Affekte geht, als um eine radikale Gegenposition zur staatstragenden Vereinnahmung der Kritischen Theorie in einer postnazistischen Gesellschaft.

Anmerkungen:
[1] Siehe auch: "Alexander Kluge und der Antisemitismus (2): Geschwätziges Schweigen als taktische Relativierung"
[2] Siehe auch: "Alexander Kluge und der Antisemitismus (1): Harlan - Im Schatten von Jud Süß"
[3] Kein generisches Maskulinum.


2 Kommentare:

  1. Ah, sehr fein, nochmal eine schöne Zusammenfassung.
    Ich mag vor allem den Vergleich: "Einen Theodor-W.-Adorno-Preis an Butler, Kluge oder Godard zu vergeben, ist ein bisschen so, als würde man auf den Frankfurter Friedhof gehen, auf das Grab von Gretel und Theodor W. Adorno spucken und hinzufügen, die beiden hätten es so gewollt."

    Vielleicht schau ich demnächst auch mal wieder fern ;)

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  2. Der antifeministische Affekt ist aber schon an den Haaren herbeigezogen, oder?

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