Obwohl Comedians oftmals ihre gesellschaftliche Ohnmacht beklagen, kann Humor ein mächtiges Instrument sein. In humoristischen TV-Formaten wird ausgesprochen, was in Nachrichtensendungen und Politdiskussionen nicht oder kaum sagbar ist. Durch Benennen von Tabus und der Überschreitung von Grenzen kann gesellschaftliche Reflexion befördert werden. Wenn sich Tabubrüche in Pseudotabubrüche verwandeln, läuft Satire aber Gefahr, ihre Macht in den Dienst der falschen Sache zu stellen.
Eine dominante, aber selten als solche benannte Verschwörungsideologie ist jene, wonach eine von oben aufoktroyierte Meinungsdiktatur der Political Correctness existiere. Nichts mehr dürfe man sagen, wofür eine Sprachpolizei, deren Standort für die selbsternannten Opfer der Verschwörung unbestimmbar ist, verantwortlich sei. Der britische Comedian Stewart Lee setzt sich sowohl in seinen Bühnenprogrammen als auch in seiner Fernsehshow Stewart Lee's Comedy Vehicle (BBC Two) mit dieser populären Form verschwörungsideologischen Denkens auseinander. Er fragt, was denn nun eigentlich nicht mehr gesagt werden dürfe. Die Antwort ist bitter und entlarvend zugleich: Eine Gesellschaft, in der Diskriminierung nach wie vor Alltag und nicht Ausnahme ist, erschafft einen ideologischen Schleier, um sich gegen Kritik an den real existierenden Gewalt- und Diskriminierungsverhältnissen zu immunisieren. Die Kritiker_in wird zur Täter_in. Rassist_innen und Sexist_innen zu Opfern der politisch korrekten Verschwörung. Die verquerte Logik jener, die an die Political Correctness Konspiration glauben, macht Lee zu Material für bissige Satire über die abstrusen Kritikabwehrstrategien homophober, rassistischer und sexistischer Menschen.
Viel öfter erfährt diese Sicht der Welt allerdings Unterstützung durch Comedians und es werden nicht tatsächliche Tabus, sondern behauptete - in weiterer Folge als Pseudotabus bezeichnete - gebrochen. Gerade Comedians, die sich das Attribut "kritisch" anheften oder es angeheftet bekommen, gelangen vermehrt in ein Fahrwasser, in dem Tabu- und Pseudotabubrüche nebeneinander stehen oder sich gar überlagern. Wenn Stermann und Grissemann (bzw. ihre Gagschreiber_innen) glauben, einen Witz über Lungenhochdruckpatient_innen und eine Benefizveranstaltung zu deren Gunsten machen zu müssen, ist die Sache vergleichsweise klar in die Kategorie Pseudotabubruch einordnendenbar. Jener Witz, der in den österreichischen Medien als "Holocaust-Witz" verhandelt (und kritisiert) wurde, bringt hingegen schon mehr Ambivalenz aufs Trapez. In einer mit Stermann und Grissemann empathischen Lesart könnte er womöglich als humoristische Anklage des mangelnden Verantwortungsbewusstseins der ÖBB in Bezug auf die Funktion der Eisenbahn für die industrielle Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden gelesen werden. In einer postnazistischen Gesellschaft mit massiv vorhandenem sekundärem Antisemitismus wird der Witz auf Ebene der Rezeption notwendig zum Pseudotabubruch, "endlich" auch Witze auf Kosten der Shoah-Opfer machen zu "dürfen".
Auf die Kritik - sei es jene der Israelitischen Kultusgemeinde an der humoristischen Nutzbarmachung der Shoah oder die von David Alaba am rassistischen Blackfacing-Sketch Sketch - wird immer gleich reagiert: An einen im Vollrausch am Krankheitsbild Betonpfeiler verstorbenen Landeshauptmann erinnernd, entschuldigt man sich halt. Nicht für den Witz sondern dafür, dass jemand sich "angegriffen fühlt". Schon die Prämisse von Willkommen Österreich (ORF eins) arbeitet oben kritisiertem verschwörungsideologischem Denken zu: Der ORF bewerbe die Sendung mit dem Versprechen "herrlich politisch inkorrekte[r] Witze", erklärte Christoph Grissemann einst der APA. Dass es Kritik gibt, weil man versucht dieser Anforderung zu entsprechen, finde er "irgendwie grotesk" - als wäre diese Anforderung von den Kritiker_innen formuliert worden.
An die Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft anzudocken, ist leichter als den Konflikt mit ihr zu suchen. Humor, der mehr sein möchte, als bloße Unterhaltung, kommt jedoch nicht umhin letzteres zu tun. Das bedeutet nicht, das Publikum gegen sich aufhetzen zu müssen, bis es sich zum Mob formiert und die kritische Humorist_in von der Bühne jagt. Bereits ein Spiel mit Enttäuschung und Erfüllung von Erwartungshaltung kann beachtliches hervorbringen. Ein solches betreibt die britische Komikerin Ava Vidal, die in ihre Stand-Up-Routinen sowohl antirassistische als auch feministische Positionen einwebt. Ihre Taktik geht sowohl humoristisch als auch in gesellschaftskritischer Hinsicht auf, weil das Spiel mit Erwartungshaltung/Enttäuschung/Überschreitung formal sowohl dem Einen als auch dem Anderen zuträglich ist. Etwa wenn Vidal sagt, dass sie als schwarze Frau - entgegen der Erwartungshaltung des Publikums - begeistert ist, wenn weiße Celebrities schwarze Kinder kaufen. Schließlich hat sie selbst zwei zu Hause und könnte sie im Fall des Falles zu Geld machen. Ambivalent wird die Sache, wenn Vidal ihre Tochter als übergewichtig und unattraktiv beschreibt und als Topper hinzufügt, sie müsse aufgrund ihres Äußeren keine Angst vor sexistischen Übergriffen haben. Diese Stelle wird vom Publikum mit lautem Lachen quittiert und markiert den Übergang von tatsächlichen Tabubrüchen zum Pseudotabubruch als einheitsstiftendes Moment.
Bedingungslose Tabubrecherin zu sein, wird der amerikanischen Komikerin, Schauspielerin und Autorin Sarah Silverman nachgesagt. In einer Folge von The Sarah Silverman Program (Comedy Central), der Sitcom in der Silverman eine fiktionale Version ihrer Selbst spielt, schließt sie eine Wette über die Frage ab, wer mehr diskriminiert werde: Schwarze Menschen oder Juden und Jüdinnen. Um ihre These, wonach sie als Jüdin stärkerer Diskriminierung ausgesetzt sei, zu beweisen, lässt sie sich das Gesicht schwarz schminken und stößt damit auf massive Ablehnung, die ihrer Ansicht nach auf Rassismus, tatsächlich aber auf die Praxis des Blackfacings zurückzuführen ist. Das Missverständnis fortschreibend, kämpft Sarah im Rest der Folge als "angry black-faced woman" für die Bürger_innenrechte weißer Blackfacer_innen.
Trotz der extremen Kuriosität, die Silverman und niemand anderen zur Witzfigur degradiert, lässt die "Face Wars"-Folge widersprüchliche Lesarten zu. Zum einen die antirassistische Vorzugslesart, wonach es darum ginge, zu zeigen, wie unfassbar rassistisch Sarah hinter einem antirassistischen Vorwand agiert. Zum anderen spielt die Folge mittels einer Umkehrung mit rassistischen Gewalterfahrungen: Die Razzia, bei der es zur Festnahme Sarahs kommt, wird in den TV-Nachrichten manipulativ geschnitten und erst so zur rassistischen Razzia gemacht. Ein von rassistischen Rezipient_innen daraus ableitbarer Subtext könnte sein, dass es die Polizei generell schwer habe, es den übermäßig kritischen Medien recht zu machen, die selbst dort Rassismus vermuten, wo - wie in diesem Fall tatsächlich - keiner ist. Zudem bedient diese Folge eine ähnliche Rezeptionsdynamik, wie Da Ali G Show (Channel 4). In beiden Fällen lacht das Publikum über das "Is it because I'm black?" Motiv, das von weißen Comedians - hier Silverman, dort Sacha Baron Cohen - entkontextualisiert und zum Witz gemacht wird. Tief sitzt die Ideologie, wir würden bereits in einer post-rassistischen Gesellschaft leben, weshalb zumindest ein Teil des weißen Publikums mutmaßlich auch darüber lacht, dass es überhaupt Menschen gibt, die glauben, aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert zu werden.
Humor, der nicht als Kämpfer gegen die vermeintliche Weltverschwörung der Political Correctness Applaus von der falschen Seite bekommen möchte, bedarf einer Reflexion auf die Gesellschaft, in der er produziert und rezipiert wird. Humorkritik sollte ihrerseits Sensibilität dafür entwickeln, dass vermeintlich tabubrecherische Comedy offenen Rassist_innen, Sexist_innen oder Antisemit_innen viel zu oft als Bestätigung ihrer Weltanschauung dient.
TV-Comedy ist kein sicheres Terrain und auch ein noch so emanzipatorisch intendierter Witz, kann anders ankommen, als er gemeint war. Wenn dies passiert, wäre eine ehrliche Entschuldigung bei jenen Menschen angebracht, die angegriffen wurden. So brächte selbst ein misslungener Scherz die Debatte weiter: Sowohl die über die Gesellschaft als auch die über die Funktion von Humor in ebendieser.
Auseinandersetzungen mit diversen gesellschaftlichen Implikationen von Humor finden sich hier.
Dieser Text erschien geringfügig bearbeitet in Stimme 91 im Rahmen des Schwerpunkts "Fernsehen - ORF. Wie wir?".
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