Sonntag, 11. Januar 2015

Unverhältnismäßige Witze

"Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns", schrieb Titanic Chefredakteur Tim Wolff nach dem Anschlag auf die Charlie Hebdo Redaktion. Aus Sicht der linken SatirikerIn, die an der Aufklärung im Bewusstsein der ihr innewohnenden Dialektik festhält, mag dies zuweilen zutreffen. In einer Gesellschaft, die den Rückfall hinter die selbige sowohl intellektuell-akademisch als auch politisch-aktivistisch permanent praktiziert, läuft jedoch auch Komik Gefahr, als affirmative Begleitmusik des Wahns zu fungieren.


"As a random Muslim I'll apologise for this Paris incident if random white ppl will apologise for imperialism, drone attacks and Iggy Azalea", schreibt der Stand Up Comedian Aamer Rahman auf Twitter. Es ist ein in seiner Dichte bemerkenswerter Tweet. Zunächst definiert er sich als "random Muslim", um sich daraufhin seinerseits in Beziehung zu dem Attentat auf die Charlie Hebdo Redaktion in Paris zu setzen, das er verharmlosend als "this Paris incident" - wahlweise zu übersetzen mit "diesen Pariser Zwischenfall" oder "dieses Pariser Ereignis" - bezeichnet. Die Grundprämisse ist die, das ihn jemand aufgefordert hätte, sich für das Attentat zu entschuldigen, was eher zu bezweifeln ist, aber für das Funktionieren des Witzes notwendig zu sein scheint. Viel wahrscheinlicher ist, dass er als gar nicht mal so "random Muslim", sondern als muslimischer Comedian, gefragt wurde, was er zu einem Attentat sagt, dass von französischen Muslimen auf die Redaktion einer Satirezeitschrift verübt wurde. Hätte er das geschrieben, würde der Witz aber nicht funktionieren. Denn wo wäre das Problem, wenn man "White People" fragt, wie sie zu Imperialismus, Rüstungsindustrie oder Rassismus im Hip Hop stehen? Tatsächlich haben manche weiße Menschen - nicht zuletzt in künstlerischen und akademischen Kontexten - zu diesen Themen ein fast schon verdächtiges Mitteilungsbedürfnis, dass meist eher der eigenen Selbstinszenierung und -profilierung dient und weniger einer grundlegenden gesellschafts- und herrschaftskritischen Haltung geschuldet zu sein scheint.

Womit wir bei einem weiteren Problem dieses Witzes wären: Implizit stellt Rahman Muslime und "White People" als Gegensatzpaare dar. Das ignoriert sowohl den Fakt, dass es viele "White People" gibt, deren Familien seit Generationen muslimisch sind als auch den Umstand, dass gerade in politisierten Varianten des Islams weiße, christlich sozialisierte KonvertitInnen eine gewisse Rolle spielen. Der Bezug auf Rassismus kommt aber keineswegs aus dem Nichts, sondern ist wohl als indirekte Kritik an den toten Charlie Hebdo Redakteuren zu verstehen, denen gerade jetzt immer wieder Rassismus vorgeworfen wird. Das dient letztlich der Rationalisierung von Gewalt - ganz so, als wäre das Attentat eine antirassistischer Kritik[1]. Direkt wollen das zwar die Meisten nicht aussprechen, es scheint sich aber dennoch in den Köpfen mancher genauso darzustellen. Auch diese Nachricht stellt den Bezug her:


"To be fair, all whites should be held responsible for Rupert Murdoch", meint der Journalist Tom Gara im Zusammenhang mit einem Tweet des erstgenannten[3] zu den Anschlägen. Um fair zu sein, müsste man fragen: Warum? Selbst wenn man der - falschen - Ansicht ist, das Publikum sei für den Inhalt der Medien verantwortlich, die es konsumiert, wären hier mehrere Einschränkungen vorzunehmen. Verantwortlich wären demnach jene weißen Menschen, die The Sun, The Times oder Sky abonniert haben. Besonders kritikwürdig wären - möchte ich an dieser Stelle als Zuspitzung Garas Logik einwenden - jene, die Sky Serien nicht nur schauen, sondern auch noch unverhältnismäßig loben. Deshalb möchte ich mich hiermit meinerseits von Rupert Murdoch distanzieren sowie von allen Menschen, die in seinem Namen in Supermärkten und Zeitungsredaktionen um sich schießen. Das verlangt zumindest die Logik dieses Tweets, das mit einem reichlich unverhältnismäßigen Vergleich genau das reproduziert, was es eigentlich zu kritisieren vorgibt. Da hilft auch die Ironie wenig, die in dem Fall bedeutet, dass Gara eventuell das Gegenteil von dem meint, was er schreibt. Die Prämisse des Witzes ist falsch in einer Zeit, in der selbst Rechtsextremisten und PEGIDA-Fans wie Heinz-Christian Strache eben keineswegs allen MuslimInnen die Verantwortung für den Terror zuschieben, sondern zu differenzieren wissen und dennoch nicht plötzlich zu Antirassisten mutieren.[3] Das entsprechende Wording haben ihnen allerdings jene geliefert, die Begriffe wie "Islamophobie" in die Welt gesetzt haben. Würde Murdoch sein "political correctness" durch "eine bestimmte Form von Antirassismus" ersetzen, träfe er erschreckenderweise tatsächlich einen Punkt, den viele Linke nicht mehr theoretisch zu erfassen in der Lage sind:


Es bleibt zu sagen, dass Witze, die den ideologischen Schleier über dieser Gesellschaft reproduzieren und verstärken, durchaus kritisiert und - wenn auch mitunter recht humorbefreit - auseinandergenommen werden sollten. Tim Wolffs Conclusio zuzustimmen, seit dem Anschlag gelte mehr den je "Es lebe der Witz. Der kluge. Der platte. Jeder, der genügend Menschen findet, die über ihn lachen. Und für alle, die ihn nicht mögen, sollte mehr denn je gelten: Ertragt ihn oder ignoriert ihn", fällt angesichts dessen schwer. Denn was sich in den oben zitierten Tweets als vermeintlich antirassistische Punchline gebiert, ist nichts anderes als Menschenverachtung, die sich als kritische Satire verkleidet. Genau dafür braucht es Humorkritik, wie sie u.a. in der Titanic seit vielen Jahren und hoffentlich auch weiterhin praktiziert wird.

Anmerkungen:
[1] Was nicht heißt, dass alle Karikaturen, die jemals in Charlie Hebdo abgedruckt wurden, frei von rassistischen Bildtraditionen sind. Es wäre aber, möchte man sich ernsthaft und nicht instrumentalisierend damit auseinandersetzen, dennoch zu Fragen, warum diese Kritik gerade jetzt und meist in Bezug auf Verstöße gegen ein religiöses Bilderverbot aufgebracht wird und sich nicht etwa an der Darstellung schwarzer Menschen in Charlie Hebdo entfaltet.
[2] Zuletzt in der ZIB 2 am 9. Jänner 2015.
[3] Murdoch twitterte: "Maybe most Moslems peaceful, but until they recognize and destroy their growing jihadist cancer they must be held responsible.'"

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