Montag, 7. November 2011

Liebes-Alarm! und sein Publikum

Messie-Alarm!, Babyalarm! und jetzt also auch noch Liebes-Alarm!. Sat.1 hat eine neue reality Doku-Soap und ein dankbares Publikum, dass die menschenverachtenden Narrative, die dort konstruiert werden, unkritisch aufgreift und weiterträgt.

Dass die von Andrea Göpel moderierte Sendung genau genommen nicht einmal neu ist, stört nur wenig. Bereits im März 2011 wurde die Geschichte von Uschi und Julio bei We are Family! So lebt Deutschland auf ProSieben erzählt. Die Finanzkrise zwingt offenbar selbst große Sendeanstalten zum Sparen - da kann man schon mal altes guten Gewissens als neu verkaufen. "Die Trottel werden das schon nicht merken", haben die Sendungsverantwortlich bei Sat.1 wahrscheinlich klammheimlich gedacht.

Inhalt, Inszenierung, Rezeption

Zum Inhalt der Sendung: Uschi aus dem deutschen Wismar und Julio aus Peru haben sich übers Internet kennengelernt und verliebt. Als Uschis Tochter Yvonne von der Fernbeziehung ihrer Mutter erfährt, ist sie ob des großen Altersunterschieds entsetzt und fliegt mit ihr nach Lima, um Julio kennen zu lernen. Es kommt zu diversen Verwicklungen - am Ende heiraten Uschi und Julio.

Wie inszeniert Sat.1 die Geschichte? Per Insert wird die weibliche Hauptfigur dem Publikum als "Uschi D., 56 - seit 4 Jahren arbeitslos" vorgestellt. Julio unterstellt die Offstimme mittels rhetorischer Frage gleich zu Beginn ein falsches Spiel zu spielen. Visualisiert wird das mit Bildern, die seine neue Liebhaberin Uschi nicht gerade attraktiv erscheinen lassen sollen. Altersunterschiede, die unter umgekehrten Vorzeichen (älterer Mann / junge Frau) vergleichsweise wenig Aufsehen erregen, werden hier als bizarre Freakshow inszeniert.

Nicht weniger absurd ist die Darstellung Perus. Julios Herkunftsland sei - legt Sat.1 nahe - ein einziges Drecksloch. Uschis Freundin "Gaby, 52 - im Kulturschock" stellt kameragerecht fest, sie sei nun in einem "Land, in dem es nicht mal eine Dusche gibt". Haarsträubender Unsinn - gesendet wird es trotzdem.

Die Kommentare auf Twitter folgen den üblichen Mustern der Reality TV Rezeption. Eine Userin schreibt: "Die Redakteure dieser Sendung stehen in der Musikauswahl dem #RTL-Team in nix nach!" Bei diesem Satz könnte es sich um eine kritische Feststellung halten - das angefügte "Geil!" lässt jedoch Zweifel an dieser wohlwollender Interpretation aufkommen.

Die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Sabine Prokop weißt im Interview mit PROGRESS auf die Motivlagen der ZuschauerInnen derartiger Formate hin:
"Es handelt sich hierbei um ein lustvolles Zuschauen dabei, wie sich andere entblößen oder bei Dingen, von denen man denkt, sie selbst nicht zu tun. Diese Doku-Soaps sind aber meistens recht nah dran und die Abgrenzung findet dadurch statt, dass die ZuseherInnen nur noch einen kleinen Schritt zu gehen hätten, damit sie auch so sind wie die Menschen die sie im Fernsehen sehen. Das ist eine knappe Sache."[1]
Viele Tweets machen sich sexistisch über Uschi lustig (Zitat: "#liebesalarm? Vielmehr #ekelalarm..."[2]). Nicht selten kombinieren die PosterInnen bei ihren Mutmaßungen über die Gründe für die Beziehung von Uschi und Julio Sexismus und Rassismus. Ein Tweet, das in geballter Form ausspricht, was viele denken und schreiben: "also es kann nicht wegen Geld oder ihrem Körper sein... ein Hoch auf die Wertigkeit der deutschen Staatsbürgerschaft!" (hier stellt sich die Frage, welche zwischenmenschlichen Beziehungen Menschen, die so etwas posten zu führen in der Lage sind, wenn Geld, Körper und StaatsbürgerInnenschaft für sie die einzig vorstellbaren Kriterien zur Beurteilung eines Menschen sind)

Die Ideologie hinter der Inszenierung

Bei aller Kritik an der un- bzw. pseudokritischen Rezeption derartiger Formate dürfen die ProduzentInnen selbiger nicht aus den Augen verloren werden. Denn sie sind es, die für die sexistische Darstellung von Uschi und die mit gesellschaftlichen Rassismen kokettierenden Narrative verantwortlich sind (Stichwort: "Aufenthaltsehe").

Das Publikum wäre jedoch trotz aller kulturindustrieller Zurichtung seinerseits dafür verantwortlich, derartige Narrative als das was sie sind zu durchschauen: Die schlimmstmögliche Lesart sozialer Interaktion. Im konkreten Fall ein Konglomerat an Rassismus, Sexismus und Klassismus mit dem zentralen Subtext wonach eine körperlich degenerierte, weiblich konnotierte "Unterschicht" männliche Ausländer aus ärmlichen Verhältnissen nach Deutschland einschleuse.

Über weite Strecken ist die Sendung - wie viele derartige Formate - sehr offensichtlich inszeniert. Beispielsweise die Szene in der Tochter Yvonne Mutter Uschi leicht bekleidet beim chatten mit dem peruanischen Lover erwischt. Aufzufallen scheint so etwas kaum jemandem - stünde eine Hinterfragung der Logik des Formats doch der geläufigen Rezeption entgegen.

Auch wenn die Darstellung konstruiert ist, sind es die gezeigten Menschen nicht. Mit den Folgen müssen sie zurecht kommen. In einer gewissen Weise sind Doku-Soaps "realistisch", hält Prokop im bereits oben zitierten Interview fest: "Aber das Erkennen davon, dass das nicht einfach nur Fernsehen ist, sondern eben eine mediale Konstruktion mit echten Menschen und Ereignissen – diesen Sprung schaffen viele Menschen nicht und nehmen das als mediales Produkt hin."[3]

Quellen und Anmerkungen:
[1] "Eine relativ menschliche Regung" - Interview mit Sabine Prokop, in: Progress 01/11, S. 6.
[2] Update, 13.11.2011: Eine alternative Erklärung der Intention hinter dem zitierten Posting findet sich in den Kommentaren unter diesem Artikel.
[3] "Eine relativ menschliche Regung" - Interview mit Sabine Prokop.

Siehe auch:
Wenn das Publikum unerträglicher als die Sendung ist


11 Kommentare:

  1. Das mit März 2011 ist natürlich schlecht recherchiert. In Wahrheit ist die Folge viel älter, sie lief (u.a.) schonmal 2010.

    Das nächste mal bitte besser recherchieren, bevor du hier den Klugen spielst!

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  2. @anonym
    Auf der Homepage der Produktionsfirma steht: "Prosieben, We are Family, 08. und 09 März 2011, 16:00"

    Aber Korrekturen bin ich dankbar - weißt du wann genau die Folge zum ersten mal ausgestrahlt wurde?

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  3. Ja stimmt Fernseher kaputt ist nämlich eigentlich gar nicht Klug! Ällabätsch.

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  4. Dieser Beitrag war echt . Die Sendungen wurden in jeweils 2 Doppelfolgen ,2010 " Uschi fährt nach Peru " und 2011 " Uschi heiratet Julio " bei PRO7 we are Family ausgestrahlt. Ein doch so ungleiches Paar läßt natürlich eine Menge Fragen aufkommen. Die wurden im ursrünglichem Beitrag gestellt, aber auch reflektiert. Dabei wurden auch Szenen realitätsnah nachgestellt.

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  5. Die aussage von Gabi " In einem Land in dem es nicht einmal Duschen gibt ", hat im Original die kleingeistigen Gedanken eines Deutschen im Ausland dokumentiert. Leiter wurden im SAT1 Film durch Umschnitt ,Text und Musik , sämtliche reflektion unterbunden. Entsetzlich.Und damit ist die aktuelle Kritik voll berechtigt.

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  6. Uschi und Julio leben glücklich in Lima.

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  7. Kann man sich die Original-Version online ansehen?

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  8. Bevor ich in einem derartigen Blog zitiert werde, würde ich mit auch mehr Reflektion des selbigen wünschen. Aus meiner Sicht sind sendungen wie liebesalarm, genauso unappetitlich wie andere Sendungen die evtl noch jüngere halbnackte Damen zeigen. Es geht nicht darum, dass Uschi ü-50 und halbnackt ist, sondern darum das es früher Nachmittag ist und sowas läuft.

    Ich erwarte von einem Autor, der Reflektion von Drehbuchschreibern und Publikum erwartet ebenso solche.

    Aber vielen dank, so lernt man wie Worte aus dem Kontext gezerrt werden!

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  9. @Anonym
    In dem Artikel werden mehrere Personen zitiert. Kannst du mir zum besseren Verständnis bitte schreiben, um welches Zitat es sich konkret handelt und warum es deiner Meinung nach aus dem Zusammenhang gerissen ist? (wenn du das nicht öffentlich schreiben möchtest, gerne auch per Mail: fernseherkaputt@gmail.com)

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  10. Es geht um das Zitat "#Liebesalarm, vielmehr..". In keiner Weise habe ich das in Zusammenhang mit Uschis äußerem Erscheinungsbild erwähnt. Man kann mir einiges vorwerfen, aber mit Sexismus hat meine Aussage relativ wenig zu tun.

    Mir ging/geht es um die immer mehr auf die Spitze getriebene Bloßstellung von Menschen, die aus meiner Sicht einfach nur ekelhaft ist. Das meine Aussage so aus dem Kontext gezogen wurde verwundert mich, aber so ist es nun mal mit öffentlichen Plattformen wie Twitter. Ich kann nur daraus lernen.

    Ich lasse mir gerne vorwerfen, dass ich häufig schlechten TV Geschmack vorweise, aber Sexismus finde ich extrem.

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  11. Was hasse ich foren! Es gibt soviele halbgewinde die immer jemanden verbessern müssen nur weil man sie nicht auf die straße schicken kann weil sie so häßlich sind und diese den ganzen tag in solchen foren hängen! Immer die gleichen hohlbolzen

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