Donnerstag, 4. Oktober 2012

Willkommen Pseudotabubruch

Stermann und Grissemann liefern sexistische, rassistische, antisemitische und andere Pseudotabubrüche am laufenden Band. Diese Strategie zu kritisieren, ohne ihrer Selbstinszenierung als "politisch inkorrekte" Tabubrecher zuzuarbeiten, ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Ein Witz über die Opfer der Shoah ("Aufregung um Holocaust-Witz bei 'Willkommen Österreich'") oder einer, der sich über Menschen mit Lungenhochdruck lustig macht ("Stermann und Grissemann bedauern Lungenhochdruck-Witz") sind nur die prominentesten Beispiele. Manchmal entschuldigen sich die Kabarettisten, manchmal nicht. Zumeist bleibt Kritik überhaupt aus, wie etwa bei den jüngsten rassistischen Entgleisungen in Willkommen Österreich (ORF eins). In der Ausgabe vom 25. September 2012 macht Christoph Grissemann ein Scherz über schwarzes Kind, das er mit einem rassistischen Begriff bezeichnet. In der darauf folgenden Sendung vom 2. Oktober 2012 kommt ein Sketch im Blackface[1] vor, bei dem Frank Stronach auf den österreichischen Fußballnationalspieler David Alaba trifft. Letzterer wird von dem mit dunkelbrauner Farbe geschminkten Dirk Stermann gespielt. Im Zentrum des Sketches steht eine Banane (siehe Screenshot).

Die Political Correctness Verschwörung

Wie so oft verkommt deutschsprachige Comedy hier zur Kämpferin gegen die vermeintliche Weltverschwörung der Political Correctness, die „uns“ verbiete rassistisch, sexistisch, antisemitisch und noch vieles mehr zu sein. Eine Verschwörung, deren VerschwörerInnen niemand zu benennen in der Lage ist, deren behauptete Existenz aber seit fast zwei Jahrzehnten als eierlegende Wollmilchsau für mittelmäßige Comedians fungiert. Auch Stermann und Grissemann dienen sich dieser Form von postmodernem Beliebigkeitskabarett an. Für offene RassistInnen, SexistInnen oder AntisemitInnen funktioniert es ungefiltert. Den anderen wird die Lesart angeboten, wonach es sich um subtilen Meta-Humor handle. Wer das nicht sieht, habe es einfach nicht gecheckt, wird KritikerInnen dann gerne entgegengeschleudert.

Nadine Lantzsch kritisert diese Form der Kritikabwehr in einem anderen Zusammenhang wie folgt:
"Die Betroffenen haben den Witz schon längst verstanden. Sie haben sich aber in diesem Fall dafür entschieden, es nicht witzig zu finden. Betroffene wissen auch stets, wie etwas 'gemeint' ist. Sie weisen die Perspektive lediglich zurück. (…) 'Du hast den Witz nicht verstanden' ist Gewalt, da die kritisierte Diskriminierung noch einmal auf die Betroffenen zurückfällt. Allerdings wird mit 'Du hast den Witz nicht verstanden' deutlich, dass es nicht die Betroffenen sind, deren Weltsicht eingeschränkt ist. Denn wir beide haben den Witz verstanden, ich bin nur schon einen Schritt weiter als du."
Stermann und Grissemann kommen zweifellos aus links-alternativen Kontexten und wurden aus genau diesem Grund, als im Jahr 2000 FPÖ und ÖVP die Macht in Österreich übernahmen, vom ORF in vorauseilendem Gehorsam suspendiert. Deshalb gehe ich davon aus, dass beide um die Problematiken ihres momentanen Schaffens wissen. Umso erschreckender ist, dass sie trotzdem tun was sie tun und dass es sich dabei schon lange nicht mehr um vereinzelte Entgleisungen handelt. Sie gehen damit eine traurige Allianz mit der österreichischen Mehrheitsgesellschaft ein und nehmen durch ihren beliebigen Umgang mit unterschiedlichen Formen von Diskriminierung in Kauf, Menschen, die ohnehin Tag für Tag - in den Medien und auf der Straße - beleidigt werden, zur Belustigung eines bestimmten Teils des Fernsehpublikums noch einmal zu beleidigen.

Nicht alles, was im Gestus der Subversion daherkommt, ist wirklich subversiv

An die Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft anzudocken, ist leichter als den Konflikt mit ihr zu suchen. Auf formaler Ebene haben Stermann und Grissemann viel von Alternative Comedians übernommen. Das bewusste Hantieren mit schlechten Witzen und versemmelten Punchlines erinnert mich in vielerlei Hinsicht an Stewart Lee. Die Sketche speisen sich wiederum aus Strategien von gesellschafts- und medienkritischen Comedyformaten, wie sie etwa Dawn French und Jennifer Saunders seit den 1980er Jahren mit der Sendung French and Saunders (BBC Two) popularisiert haben.

Was Stermann und Grissemann von den Genannten unterscheidet, ist ihre inhaltliche Beliebigkeit, die sich in den letzten Jahren bedauerlicher Weise kontinuierlich verstärkt hat. Egal ob es um die beschriebenen rassistischen Entgleisungen oder den nicht weniger missglückten Sketch über Pussy Riot vom 19. September 2012 geht. Hier wie dort merkt man, dass die beiden bzw. ihre GagschreiberInnen den von ihnen gewählten Gegenständen nicht gewachsen sind und sie ihre inhaltliche Überforderung mit Zugeständnissen an den rassistischen und sexistischen gesellschaftlichen Konsens überspielen. Der Gestus der Tabubrecher, mit dem sich die beiden regelmäßig in Szene setzen, lenkt von ihrem inhaltlichen Unvermögen zu wirklich radikaler Satire ab. Das ist sowohl ein Argument gegen Stermann und Grissemann in ihrer aktuellen Schaffensphase als auch eines gegen ihr Publikum, das darin noch immer eine Form von Subversion erkennen möchte.

War früher alles besser?

Während ich diesen Artikel geschrieben habe, hat sich mir mehrfach die Frage aufgedrängt, warum sich meine Wahrnehmung von Stermann und Grissemann in den letzten Jahren defacto um 180 Grad gedreht hat. Waren Stermann und Grissemann früher tatsächlich besser, oder war ich schlechter, sprich unreflektierter, was die oben angesprochenen Themen und die damit im Zusammenhang stehenden medialen Dynamiken betrifft? Von den vormals tatsächlich subversiven Tabubrüchen, scheint nur noch der Gestus erhalten geblieben zu sein. Oder ist selbst das eine Vergangenheitsprojektion meinerseits, die es mit Stermann und Grissemann zu gut meint?

Siehe auch:
Der 10 Punkte Leitfaden für erfolgreiche deutschsprachige Comedy
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Anmerkung:
[1] Zur aktuellen Debatte um Blackfacing im Theaterbereich bietet der Bühnenwatch Blog eine umfangreiche Materialsammlung.


9 Kommentare:

  1. guter text. wichtige kritik. ich glaube aber nicht, dass die früher besser waren. sie waren zwar immer links, aber gleichzeitig auch schon immer sexistisch und latent homophob (was btw. keine seltenheit ist bei linken hetero-männern). nur der rassismus ist neu.

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  2. Sehr wichtiger Text und zum Teil Analyse. Früher hatten sie das Thema Rassismus immer in ihren Sketchen in die extreme Übertreibung und Lächerlichkeit gezogen(da spreche ich auf die vielen Sketches wie die deutsche Küche und sonstigem an)(wenn es nicht so war hatte ich es so empfunden).
    Dieses Überspannen ist leider mehr und mehr verschwunden und letztlich wie beim Stronach-Alaba Sketch in das simple Nachspielen der vorherrschenden Ressentiments abgedriftet.

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  3. in diesem fall, haben viele, offensichtlich auch der autor des kommentars, den sketch wirklich nicht verstanden

    nicht alaba wird mit rassistischen stereotype belegt, sondern dem persiflierten stronach wird diese weltsicht unterstellt

    stronach wird als rassistischer trottel dargestellt, der hätte viele gründe sich aufzuregen,

    warum man ihm das unterstellt, und warum er sich nicht dagegen wehrt, wirft einige fragen auf

    aber stermanns darstellung als alaba ist nicht rassistisch und hat ja nichts mit der blackface debatte zu tun

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    1. Könntest du bitte erst meinen Artikel sowie die verlinkten Texte lesen und dann kommentieren?

      Z.B. den Text zu der "Du hasst den Witz nicht verstanden"-Keule, die du bringst: http://maedchenmannschaft.net/du-hast-den-witz-einfach-nicht-verstanden/

      Und natürlich kann man Stermanns Blackface-Performance nicht losgelöst von der Debatte sehen. Wie soll das denn gehen?

      Alba findet Stermann und Grissemanns Darstellung ebenfalls daneben und hat u.a. einen Anwalt eingeschalten: http://derstandard.at/1350260097779/Stermann--Grissemann-entschuldigen-sich-bei-Alaba - sogar der FC Bayern München und der ÖFB stellen sich in dieser Sache klar auf die Seite Alabas. Soviel dazu.

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  4. alaba wird in keinem moment negativ dargestellt,
    außer dass er halt besser aussieht als stermann,
    stermanns alaba sitzt da, stellt am anfang den namen richtig, schüttelt den kopf, und geht mit "leck mi am oasch"

    ich weiß, dass sich alaba beschwert hat, aber kenne nicht den genauen inhalt der beschwerde,
    alaba kann natürlich sagen er hätte bei rassistischen beleidigungen ganz anders reagiert, und er empfindet die darstellung negativ,

    was er nicht sagen kann ist, dass die darstellung an sich rassistisch ist

    aber windtner, ludwig und die bayern nasen machen in ihren aussendungen genau das, und deshalb sag ich die haben die sache entweder nicht gesehen oder nicht verstanden,

    und blackface ist die stereotype darstellung von schwarzen, oder dass generell die rollen, die im original schwarze spielen, von weißen verkörpert werden

    das ist ja hier nicht der fall

    die beiden spielen in paraodien das meiste selber, und es macht die parodie nicht an sich rassistisch, wenn einer sich schwarz anmalt, oder frauenfeindlich, wenn einer eine frau spielt

    wirklich beschweren müsste sich aber stronach

    stronach wird als rassistischer schwachkopf dargestellt, die frage ist warum, ich hab noch nichts in diese richtung von ihm wahrgenommen, obwohl er sonst ja viel schwachsinn verzapft, und warum reagiert er nicht auf diese negative darstellung

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    1. Die Kritik ist eine Grundlegendere. Es geht im konkreten Fall nicht darum, ob Alaba positiv oder negativ dargestellt wird, sondern um die Praxis des Blackfacing.

      Was Stronach betrifft gebe ich dir recht. Ich hab gestern bereits auf Twitter und Facebook die Frage gestellt, auf welchen rassistischen Vorfall/auf welche rassistische Äußerung sich Stermann und Grissemann mit dem Sketch beziehen. Bis jetzt konnte niemand ein Beispiel nennen. Das wirft wiederum ein Schlaglicht auf Stermann und Grissemann bzw. ihre Fans, die das Blackfacing als antirassistische Kritik an jemandem rechtfertigen, der in diesem Zusammenhang scheinbar gar nicht negativ aufgefallen ist.

      Das wiederum führt mich zu der Annahme, dass sowohl Alaba als auch Stronach nur einen Vorwand darstellen, um im Zusammenhang mit der Blackface-Debatte (die Stermann & Grissemann mutmaßlich mitbekommen haben) ein bisschen zu provozieren. Diese Strategie kritisiere ich im obigen Artikel. Es ist der ignorante Umgang mit antirassistischer Kritik, den ich, nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftlichen Positioniertheit von Stermann und Grissemann (zwei weiße Männer!), als rassistisch bezeichnen würde.

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  5. Die Entschuldigung ist schön typisch...
    "Es tut uns sehr leid, dass sich David Alaba von unserem satirischen Beitrag rassistisch angegriffen fühlt" statt
    "Es tut uns sehr leid, David Alaba in unserem satirischen Beitrag rassistisch angegriffen zu haben"

    "Die Satire wurde offenbar missverstanden"...

    Wenigstens folgendem kann ich zustimmen: "es zählt das, was ankommt und nicht, was intendiert war"

    http://diepresse.com/home/kultur/medien/1308096/Stermann-Grissemann-entschuldigen-sich-bei-Alaba



    Inwiefern sie da selbst bedenken haben, wenn sie sowas spielen sollen (bzw. warum sies dann tun) würd mich aber wirklich interessieren...

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  6. Zum Kommentar: Ein sehr schöner und deutlicher Blogeintrag. Danke.
    Die Entschuldigung kommt auch mir ein wenig zu salopp daher, erinnert doch im Anklang an den verunfallten Landeshauptmann, der sich meinetwegen halt einfach mal entschuldigte, falls jemand sich beleidigt fühlte. Dessen Nachfolger beim Faschingstreiben in der Villacher FuZo sich ebenso mißverstanden fühlte.
    Eine Gegenüberstellung der Reaktionen auf Dörflers Kostümierung und S+Gs Sketch eignen sich für eine vergleichende Untersuchung. mit weniger Unterschieden im Resultat als die gewählte Selbstzuschreibung zuläßt.

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  7. Also Blackfacing als koloniale Praxis der kulturindustriellen Stereotypisierung von Schwarzen beinhaltete schon immer mehr als das reine Vollpinseln mit schwarzer Farbe. Deshalb finde ich diesen Vorwurf immer relativ billig, nicht umsonst kommt er meist aus der neocolonial studies/critical whiteness-Fraktion.
    In halbwegs bürgerlichen Zuständen sollte auch weder gelten, was intendiert war, noch was ankam, sondern was materiell vorhanden ist, mit dieser totalitären Subjektivierung von Kommunikation kann man auch dem brandschatzenden Volksmob Argumentationshilfe leisten, der sich ob irgendwelcher Mohammedkarrikaturen ganz dolle in seinen Gefühlen verletzt sieht.

    Das schlimme an dem Alaba-Sketch ist also nicht der Rassismus, sondern der invertierte Antirassismus, der meint, Rassismus wäre pointenreich, wenn man ihn nur ihm Sinne des Antirassismus (hier: der Denunziation Stronachs) instrumentalisiert. Ich hoffe das war jetzt nicht zuviel Vulgärdialektik. Noch schlimmer wiegt eigentlich nur, dass er einfach nicht lustig ist.

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