Sonntag, 20. Oktober 2013

Zwei bis drei Mütter

Chuck Lorre gehört definitiv nicht zu der Sorte FernsehmacherInnen, die hier auf dem Blog abgefeiert oder auch nur ansatzweise positiv rezipiert werden. Das könnte sich nun ändern.

Der Co-Entwickler und Showrunner von Serien wie The Big Bang Theory oder Two and a Half Men (beide CBS) scheint gerade sein gesellschaftspolitisches Gewissen wiederzuentdecken und es lässt sich hier tatsächlich von einer Wiederentdeckung sprechen, bedenkt man, dass seine Karriere als Drehbuchautor bei der Working Class Sitcom Roseanne (ABC) durchaus vielversprechend begann. Diesen Herbst hat Lorre gemeinsam mit Eddie Gorodetsky und Gemma Baker eine Sitcom namens Mom (CBS) an den Start gebracht, in deren Zentrum drei Frauen und ihre prekären Existenzen stehen.

Oma Bonnie (Allison Janney) ist vormalige Betreiberin eines Meth Labors und Mutter Christy (Anna Faris) ist verzweifelte Kellnerin. Beide begegnen sich bevorzugt bei den Anonymen AlkoholikerInnen, wo sie sich gegenseitig die Schuld für ihre Anwesenheit und ihr verkorkstes Leben zuschieben. Der Weg für Tochter Violet (Sadie Calvano) scheint vorgezeichnet: Teenagerschwangerschaft und Drogenkarriere in dritter Generation - das befürchtet jedenfalls Christy.

Lorre selbst, der sich gerne via Schrifttafel direkt an sein Publikum wendet, formuliert für das Projekt einen politischen Anspruch: "Mom is more than just another sitcom. It represents our sincere attempt to dramatize, with humor, and within the limits of network TV, some very serious issues."

Ob es nach zwei kommerziell extrem erfolgreichen aber gesellschaftspolitisch anspruchslosen Cool Dudes Sitcoms zur einer Renaissance der gesellschaftskritischen Working Class Sitcom Made in USA kommt, wird sich wohl erst im Verlauf der ersten Staffel zeigen. Die Figurenkonstellation an sich ist vielversprechend - es wird bei Mom jedoch stärker als bei den anderen Lorre Sitcoms darauf ankommen, wohin sich die drei Hauptfiguren entwickeln. Schon in den ersten Folgen gibt es eine Tendenz dazu, dass Dinge, für die die Harpers (Charlie Sheen, Jon Cryer, Angus T. Jones) nur in Ausnahmefällen abgestraft wurden - konkret fallen mir Alkoholismus, Promiskuität, Drogenkonsum ein -, bei Mom von Anfang an als Probleme der drei Hauptfiguren markiert sind. Dass Geschlecht im Laufe der Serie die Figurenentwicklung insofern determiniert, als es zu einer moralischen Läuterung kommt, ist nicht auszuschließen. Eine moralische Läuterung, die den 2 1/2 Männern aus dem Nachbarstudio nie dauerhaft abverlangt wurde.

Zu einem gewissen Grad stellt sich die Frage, ob die Figuren genug hergeben, um eine ganze Staffel, geschweige denn mehrere davon, zu füllen. Das dachte ich mir allerdings auch bei The Big Bang Theory und Two and a Half Men[1]. Allerdings ist es wichtig hier zu Differenzieren. Denn im Unterschied zu den beiden oben genannten sind die Hauptfiguren bei Mom durchaus überzeugend gestaltet. Würde es sich um eine UK Sitcom handeln (sechs Folgen pro Staffel + halbwegs realistische Chancen, nach der ersten noch eine zweite Staffel vom Sender genehmigt zu bekommen und die Show damit abzuschließen) wäre der Einwand unbegründet. Aber ob es für eine epische amerikanische Sitcom reicht, scheint fraglich - zumal es frauenzentrierte Sitcoms auf dem männlich dominierten Humormarkt traditionell schwerer haben als ihre Pendants. Einen Chuck Lorre am Höhepunkt seiner Karriere als Zugpferd zu haben, kann eventuell hilfreich sein, wenn in einigen Wochen das traditionelle herbstliche Seriensterben anbricht.

Anmerkung:
[1] Two and a Half Men steht derzeit bei 11 Staffeln und 227 Folgen, The Big Bang Theory bei immerhin 7 Staffeln und 139 Folgen.

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