Dienstag, 1. April 2014

Männerseilschaften, mangelnde Diskussionskultur und problematische Einladungspolitik als "Frauenangelegenheit"?

In der Tageszeitung Die Presse nahm Ingrid Thurnher am 29. März 2014 zur niedrigen Frauenquote bei der Diskussionssendung Im Zentrum (ORF 2) Stellung und erzählte von "Männern, die nicht Koffer packen können, und Frauen, die sich keine TV-Auftritte zutrauen". Schuld an der niedrigen Beteiligung seien, so Thurnher, patriarchale Gesellschaftsstrukturen und zu einem gewissen Grad die Frauen selbst. Die Im Zentrum Redaktion tue hingegen ihr Bestes, um den Frauenanteil zu heben.

Thurnher hat recht, wenn sie in ihrem mit "Die Frauenangelegenheit" betiteltem Text schreibt, die Im Zentrum Redaktion könne nichts dafür, dass es in Österreich von männlichen Spitzenpolitikern, Firmen- und SozialpartnerInnenchefs nur so wimmelt. Allerdings liegt es in der Verantwortung der Redaktion, eine Einladungspolitik zu finden, die nicht die immer gleichen Männer aus den immer gleichen Institutionen ins Fernsehen holt.

Sie berichtet von den vielen Absagen, die die Im Zentrum Redaktion von Frauen bekommt. Und sie erzählt von Männern, die Einladungen annehmen, bevor sie überhaupt wissen, zu welchem Thema sie sprechen sollen. "Zugegeben, bei Themen wie Amtskirche oder Bundesheer ist es schwierig, weibliche Studiogäste mit entsprechender Expertise oder Erfahrung zu finden", schreibt Thurnher und vergisst: Das Bundesheer ist seit vielen Jahren für Frauen geöffnet und auch an der Basis der katholischen Kirche arbeiten vorwiegend - und fast immer unbezahlt - Frauen. Was Thurnher hier tut, ist ihnen Expertise und Erfahrung pauschal abzusprechen, statt gemeinsam mit der Redaktion Strategien zu entwickeln, sie in den öffentlichen Diskurs zu integrieren.

Ernstgemeinte Vorbildfunktion

Positiv zu werten ist das Bekenntnis zu einem öffentlich-rechtlichen ORF, der die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht einfach nur abbildet, sondern zumindest punktuell versucht, über sie hinaus zu gehen:
"Selbstverständlich können auch wir nur vereinzelt ein anderes Abbild jener Gesellschaft kreieren, die ist, wie sie ist – stark geprägt von noch immer mehrheitlich männlichen Führungsfiguren. Aber als öffentlich-rechtliches Medium stehen wir eben auch im permanenten Spannungsfeld zwischen realen Gegebenheiten und Vorbildfunktion – und Letztere nehmen wir ernst."
Gleich im nächsten Satz wird die Verantwortung aber wiederum den Frauen zugespielt und die Redaktion exkulpiert. Die Vorbildfunktion, schreibt Thurnher, nehme man so ernst, "dass wir einst bei einer Sendung auch nach gezählten 21 Absagen weiblicher Gäste nicht aufgaben". Es folgt eine Aufzählung der Gründe, mit denen der Redaktion abgesagt wurde. Am öftesten waren dies Verweise auf vermeintlich besser qualifizierte männliche Kollegen, Vorgesetzte oder Bekannte - auch Betreuungspflichten wurden genannt. In beiden Fällen könnten auf Seiten des ORF Lösungsansätze gefunden werden.

In Ersterem etwa ein offensiveres redaktionelles Hinterfragen des von Thurnher selbst erwähnten „vermeintlich (!) besser qualifiziert“ seins der männlichen Kollegen. Vielleicht in Verbindung mit einem Hinweis darauf, wie viele dubiose Einschätzungen die männlichen ORF "Experten", seien es der immer gleiche Politologe oder der immer gleiche Wirtschaftswissenschaftler (mit den schönen Pressefotos und der fehlenden Publikationsliste), schon von sich gegeben haben. Sie werden dennoch immer wieder eingeladen, ohne das es ihrer Reputation ernsthaften Schaden zugefügt hätte.

Dem Betreuungsargument könnte der ORF den Wind aus den Segeln nehmen, indem er selbst entsprechende Angebote zur Verfügung stellt. Für die größte Medieninstitution in Österreich dürfte das logistisch und finanziell kein Problem sein.

"Sorry, leider nein, das ist mir zu anstrengend."

Zu denken geben sollte der Im Zentrum Redaktion, dass Frauen mit der Begründung absagen, dass sie die Diskussionen zu anstrengend fänden. Weil sie am Montag früh schon einen Termin hätten, schreibt Thurnher. Solche Termine haben die männlichen Gäste wahrscheinlich auch und finden die Diskussionen offensichtlich nicht so anstrengend. Das könnte wiederum daran liegen, dass fast immer sie es sind, die für die - auch für das Publikum - anstrengende Diskussionskultur in den österreichischen Polittalks die Verantwortung tragen.

Der Ball liegt bei der Redaktion, die ihre Einladungspolitik überdenken müsste. Wer Männern, die sich primär mit untergriffigem Diskutieren und permanentem Unterbrechen hervortun, immer wieder eine Plattform bietet, darf sich nicht wundern, wenn fachlich qualifizierte Frauen diese Diskussionen zu anstrengend finden und ihnen fernbleiben.

Auch ein aktueller Fall sollte zu denken geben. Am 26. Jänner 2014 wurde bei Im Zentrum über den rechtsextremen "Akademikerball" und die antifaschistischen Gegendemonstrationen diskutiert. Im Studio befanden sich (Moderation nicht mitgerechnet) fünf Männer und eine Frau: Natascha Strobl von der "Offensive gegen Rechts", die während der Sendung sowohl von der Moderation als auch vom rechtsextremen TV-Stammgast massiv unter Druck gesetzt wurde und mit zahlreichen verbalen Untergriffen konfrontiert war. Wenige Wochen später wird ihr Küchenfenster mit einem Luftdruckgewehr eingeschossen (vgl. "Glasscheiben, die zu Bruch gehen").

Die Täter_innen konnten noch nicht ermittelt werden. Eine ideologische Nähe zu rechtsextremen Kontexten, denen die Im Zentrum Redaktion - auch dann wenn es das ORF Gesetz nicht zwingend vorsieht - viel zu oft freiwillig eine Plattform bietet, scheint wahrscheinlich. "Hier zeigt sich, was passiert wenn Antifaschist_innen denunziert und eingeschüchtert werden und wie gefährlich eine Rechte ist, die medial Rückendeckung bekommt", schreibt Strobl auf ihrem Blog. Auf Twitter fügt sie hinzu: „Es gab schon davor viele Drohungen. Besonders nach #imZentrum“.

Es geht auch anders

Dass es selbst mit vergleichsweise begrenzten Ressourcen machbar ist, eine ausgewogene Einladungspolitik zu bewerkstelligen, zeigt der Supertaalk seit seinem Relaunch. Während die erste Staffel noch sehr männerdominiert war, ist die Situation seit der zweiten Staffel gänzlich anders und wurde in der dritten weiter verbessert. Auch Diskussionen zu Sport, Ökonomie oder Stadtplanung - Themen, die von Thurnher wohl ähnlich wie Raumfahrt unter "schwierig, weibliche Studiogäste mit entsprechender Expertise oder Erfahrung zu finden" abgeheftet würden - werden dort mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis und teilweise sogar mit mehr Diskutantinnen als Diskutanten diskutiert.

Der Supertaalk ist informativ und das Gesprächsklima hebt sich von den Diskussionssendungen im ORF, auf ATV oder bei Puls 4 positiv ab. Der nächste findet am Dienstag, dem 1. April 2014 um 20:15 Uhr statt. Tania Araujo, Irene Brickner, Melina Klaus und Gerd Valchars diskutieren, moderiert von Flora Eder und Fanny Rasul, unter dem Motto "Die Mauern nieder!" über die "Utopie vom Ende der 'Festung Europa'".

1 Kommentar:

  1. Supertaalk mit Im Zentrum zu vergleichen nützt hier leider überhaupt nichts. Supertaalk hat keinerlei Attraktivität für mächtige Männer. Sie haben keinen Anlass, Frauen abzudrängen. Im Zentrum hingegen hat Reichweite und politische Relevanz - dort werden Männer so gut wie alles tun, um ihren Kolleginnen / Mitarbeiterinnen klarzumachen, wer in die Sendung geht. Nämlich sie, die Chefs, die Männer.

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