Freitag, 18. Juli 2014

Rassismus(kritik) und die Darstellung des Nationalsozialismus in Doctor Who

Vor einigen Monaten erschien der Sammelband Doctor Who & Race, der sich mit Rassismus in der seit 1963 von der BBC produzierten Science Fiction Serie auseinandersetzt, aber auch zeigt, wie Kolonialismus und Rassismus in der Serie immer wieder kritisch thematisiert wurden. Weniger kritisch, sondern teils revisionistisch sind die Beiträge, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen, was sich jedoch auch über die Serie selbst - bis auf wenige Ausnahmen - sagen lässt.

Mit einem kritischen kulturwissenschaftlichen Sammelband die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich zu ziehen, ist kein leichtes Unterfangen. Zu diesem Zweck ist es zweifellos hilfreich, einen populären Gegenstand auszuwählen, wie die britische Science-Fiction-Serie Doctor Who und über etwas zu schreiben, das die Mehrheit der Fans keinesfalls ihrer Lieblingsserie zugeschrieben wissen möchte: Rassismus.

So kam es, dass Herausgeberin Lindy Orthia bereits vor der Veröffentlichung von Doctor Who & Race in den Zeitungen lesen musste, welch unhaltbare Vorwürfe in dem von ihr herausgegebenen Sammelband mutmaßlich erhoben würden. Doctor Who wurde vorab exkulpiert und der Sammelband vorab verurteilt.

Die Beiträge des Bandes stammen sowohl von Wissenschaftler_innen als auch von antirassistischen und feministischen Blogger_innen, die gebeten wurden, die reichhaltige Onlinedebatte in das tote Baum-Medium zu überführen. Das Themenspektrum ist breit und beinhaltet eine Analyse der von wechselnden Darstellern gespielten Figur des Doctors sowie seiner Companions, die Frage nach der Repräsentation nicht-weißer Schauspieler_innen und eine Untersuchung des Verhältnisses von Race und Naturwissenschaft im Whoniverse. Schließlich wird Doctor Who bereits seit über 50 Jahren ausgestrahlt, so dass sich die Transformation kolonialer in postkoloniale Verhältnisse - wenn auch auf verzerrte Weise - in der Serie widerspiegelt.

Bomber Harris im Fokus und Vernichtungslager als Nebenschauplatz

Auch was die Wahrnehmung des Nationalsozialismus in der britischen Nachkriegsgesellschaft betrifft, ist Doctor Who punktuell aufschlussreich. Ähnlich wie die Serie selbst (und ihr Spin-off Torchwood) tendieren die Beiträge, die sich diesem Thema widmen, aber zur Verharmlosung oder zur Perpetuierung problematischer Analogiebildungen. In einem Text, in dem es um die als Nebenschauplatz abgetanen Vernichtungslager in Torchwood: Miracle Day (BBC/Starz) geht, wird implizit Auschwitz mit dem Terror der Roten Khmer gleichgesetzt. Eine Seite später analogisiert der gleiche Autor die gesellschaftliche und mediale Ächtung von Pädophilen und Untoten mit jener der Figur des Ewigen Juden.

Ein anderer Text paraphrasiert zustimmend das Classic Doctor Who Serial "The Curse of Fenric" (1989), dessen Meta-Text darauf hinauslauft, dass die Royal Air Force das Gleiche getan habe, wie die Nazis: "bombing innocent civilians from the air" (S. 188). Sein Bedauern ausdrückendes Resümee könnten auch deutsche und österreichische Geschichtsrevisionist_innen unterschreiben: "In many ways, The Curse of Fenric and Bomber Harris [eine TV-Doku über Selbigen, Anm.] were important correctives to a too-simplistic engagement with the Second World War and a fight against Nazism, but ultimately one which has struggled to find traction in a renewed culture of nationalist constructions of wartime Britain." (S. 189)

Ein weiterer Beitrag zum Thema, der eigentlich vergleichsweise gelungen ist, kommt nicht ohne eine Gleichsetzung von Adolf Hitler und Slobodan Milošević in Bezug auf ihre Gefährlichkeit aus. Welches Gefahrenpotential derartige Gleichsetzungslogiken - gerade wenn sie aus akademischen Kontexten kommen - in sich bergen, wird an keiner Stelle reflektiert.

Die New Who Doppelfolge "The Empty Child"/"The Doctor Dances" (2005), eine Hommage an den britischen Widerstandsgeist gegen die Nazis während des London Blitz, kommt nur am Rande vor und wird - wenig überraschend - vollkommen verkannt. Dort wo sie vorkommt, wird sie als nationalistisch kritisiert und nicht nur der Antifaschismus sondern auch die bemerkenswerte Thematisierung von Klassenverhältnissen übersehen.

Companions, die Vergangenheit, Belohnung und Bestrafung

Die gelungeneren Texte, setzen sich auf unterschiedliche Weise mit der Kernfrage des Bandes auseinander: Dem Verhältnis von Doctor Who und Race. Naheliegend ist, anhand der wechselnden Companions des Doctors zu untersuchen, wie Hautfarbe die Figurenentwicklung determiniert.

Die Darstellung der schwarzen Companions, allen voran der von Freema Agyeman gespielten Martha Jones, ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Die ihr und ihrer Familie zugeschriebene Funktion ist eine dienende. Selbst in als antikolonial lesbaren Befreiungskämpfen ist Martha zur Unterstützung des weißen männlichen Helden verdammt. Die Führungsrolle in "Last of the Time Lords" (2007) übernimmt sie lediglich aufgrund der Abwesenheit des Selbigen.

Wie das Narrativ der Zeitreise als konstituierendes Element von Doctor Who damit korrespondiert, dass die Bedrohung von schwarzen Menschen in weißen Mehrheitsgesellschaften in zahlreichen zu bereisenden Epochen massiv war, versucht ein anderer Text zu veranschaulichen. In "The Shakespeare Code" (2007) wird eine kritische Frage Marthas, die ihre Sicherheit im elisabethanischen England betrifft, vom Doctor ins Lächerliche gezogen. Nachdem Shakespeare Martha aufgrund ihrer Hautfarbe exotisiert, werden nicht seine Äußerungen kritisiert, sondern Marthas Reaktion - nämlich als "political correctness gone mad". In der Doppelfolge "Human Nature"/"The Family of Blood" (2007) wird Martha wiederum völlig eindimensional als Opfer von Rassismus präsentiert - sie arbeitet als Hausangestellte am Vorabend des Ersten Weltkriegs -, während die tatsächlich vorhandenen politischen Kämpfe (und Erfolge!) schwarzer Brit_innen in besagter Epoche keine Erwähnung finden.

Ein Vergleich der Companions der ersten vier New Who Staffeln (produziert von Russell T Davies und Julie Gardner) macht deutlich, dass die schwarzen Figuren in den Belohnungs-/Bestrafungsökonomien der Serie am schlechtesten aussteigen. Während Rose Tyler (Billie Piper) am Ende der vierten Staffel ein perfektes Happy End bekommt, Donna Noble (Catherine Tate) trotz allem immerhin noch Lottomillionärin wird und Sarah Jane Smith (Elisabeth Sladen) mit einem neuen K9, Sonic Lipstick (und einer Spin-Off-Serie) belohnt wird, erwischt es die nicht-weißen Companions weniger gut. Martha kriegt eine Jobempfehlung, wird aber mit ihrer traumatisierten Familie alleine gelassen. Und Mickey Smith (Noel Clarke) - von 2005 bis 2009 regelmäßiger und genau genommen erster schwarzer Companion des Doctors - bekomme noch nicht einmal das, so die Kritik.

Lindy Orthia (Hg.in)
Doctor Who & Race
Intellect, Bristol 2013
22,95 EUR

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