Samstag, 3. September 2011

Österreich in den Grenzen vom 2. November 1918

Die Sendung Südtirol heute ist ein Kuriosum in der österreichischen Fernsehlandschaft. Als hätte es den Ersten Weltkrieg nie gegeben, suggeriert der ORF mit der 20 Minuten langen Nachrichtensendung, dass die Provincia autonoma di Bolzano nach wie vor zu Österreich gehört.

Ausgestrahlt wird die Sendung von Montag bis Freitag ab 18:30 Uhr in Nord-, Ost- und Südtirol (ORF 2). In Alto Adice selbst ist sie sogar zwei mal innerhalb nur einer Stunde zu sehen - ab 19:30 gibt es eine Wiederholung auf ORF eins. Der kurze Intervall irritiert, erspart den SüdtirolerInnen aber wenigstens Chili mit Dominic Heinzl (und den anderen Schrott, den der ORF an diesem Sendeplatz unterbringt, seit die Zeit im Bild nicht mehr auf beiden Programmen ausgestrahlt wird).

Die Existenz von Südtirol heute ergänzend zu den Bundesland heute Programmfenstern ist ähnlich absurd wie die Existenz eines Mitteldeutschen Rundfunks im tiefsten Osten der BRD. Während man beim ORF von einer Expansion des Staatsgebietes in den Süden träumt davon ausgeht, dass die Südtirol-Rückeroberungspolitik der FPÖ mittelfristig erfolgreich sein wird, wünscht sich die ARD den verlorenen deutschen Lebensraum im Osten zurück lässt die ARD vorsorglich Platz für deutschen Lebensraum im Osten, den sich Andere (nicht die ARD!) zurück wünschen.

Aber zurück zu Südtirol heute: Beiträge werden von Moderatorin Sigrid Silgoner schon mal mit Adjektiven wie "schneidig" gelobt. Halblustige sprachliche Holprigkeiten sind an der Tagesordnung ("Der Gletschermann Ötzi wird am 19. September 20 Jahre alt. Zumindest in seinem zweiten Dasein als Mumie und Weltsensation.", 31. August 2011).

Statt einer Übersicht der kommenden Beiträge, wird zu Beginn der Sendung täglich eine Person (KünstlerInnen oder andere - irgendwie relevante - SüdtirolerInnen) vorsgestellt, die einige Sekunden etwas zum besten geben darf. Am 1. September zum Beispiel der Volksmusikmoderator Franz Posch. Nachdem er kurz zeigt, wie man die Ziehharmonika rockt, sagt er: "Ich glaube, dass Erfolgsgeheimnis is des, dass es menschelet in der Sendung". Eine Beschreibung, die gut auf Südtirol heute passt – wie sich später herausstellt aber auf seine eigene Sendung Mei liabste Weis (ORF 2) gemünzt ist, die demnächst in Norditalien gastiert.

Dieses Gastspiel veranlasste Südtirol heute auch am Tag darauf zu umfassender Berichterstattung. Ein weiterer Beitrag über Mei liabste Weis folgt kommenden Montag, verspricht die Moderatorin abschließend. Volksmusik hat hier scheinbar eine ähnlich hohe Priorität wie Hundescheiße für die KollegInnen von Wien heute.

Nach dem Konsum mehrerer Sendungen, die man sich dank der ORF TVthek auch außerhalb des Tiroler Paralleluniversums ansehen kann, möchte man den SüdtirolerInnen diesen guten Rat geben: Schaltet den Fernseher ab, lernt Italienisch, vergesst Österreich und fahrt mal ans Meer. Im Unterschied zu euren Ost- und Nordtiroler KameradInnen NachbarInnen müsst ihr für Letzteres seit 3. November 1918 nicht einmal eine Staatsgrenze überqueren.


9 Kommentare:

  1. Was bedeutet "menschelet"?

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  2. "menschelet" = menschelt (von einem Tiroler ausgesprochen)

    http://de.wiktionary.org/wiki/menscheln

    ...m.e. eine seltsamer Begriff.

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  3. Ich versteh das Problem nicht ganz. Vielleicht möchtest du mir das ja erklären. Muss man denn unbedingt ein FPÖler sein, um die (einseitige, undemokratische) Annektion Südtirols an Italien fragwürdig zu finden. (Zum Vergleich: In Südtirol lebten 1918 89% deutschsprachige Personen, in der Abstimmungszone in Kärnten 70% Slowenen, wobei sich 59% der Gesamtbevölkerung in der Abstimmungszone für einen Verbleib bei Österreich ausgesprochen haben.) Aber was dieser Blogeintrag dazu genau sagen will, versteh ich nicht ganz. Man sollte eigentlich Provincia Autonoma di Bolzano sagen (was bei 70% deutschsprachiger Bevölkerung schon seltsam wäre)? Der ORF soll nur Österreich bedienen, denn eine Sendung für Südtirol ist...faschistisch, reaktionär oder was? Südtirol heute ist schlecht (eigentlich so wie jedes andere Bundesland heute)? Südtirol heute beschäftigt sich zu viel mit Volksmusik? (wo wir schon dabei sind: auch wenn ich kein Fan von Volksmusik bin - O Gott! - so find ich z.B. Herbert Pixner, der diesesmal dabei war, eigentlich ziemlich gut, siehe z.B. http://youtu.be/0OiJeRTeIfg)

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  4. "Muss man denn unbedingt ein FPÖler sein, um die (einseitige, undemokratische) Annektion Südtirols an Italien fragwürdig zu finden."

    Österreich hat den Ersten Weltkrieg nun mal begonnen (das kann man im Übrigen auch als "einseitig" und "undemokratisch" bezeichnen) - und wenn man Kriege von Zaun bricht, darf man sich m.e. nicht wirklich beschweren, wenn man dann verliert und das eine oder andere Gebiet abtreten muss. Da noch fast 90 Jahre später irgendwelche Ansprüche zu stellen (seien es auch nur symbolische) ist - gelinde gesagt - seltsam.

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  5. So einfach sehe ich das nicht... Das Österreich/Deutschland den Krieg begonnen haben steht außer Streit. Aber ich finde das höchst problematisch, wenn man diese Frage damit rechtfertigen will. Mir scheint das wie eine Art Rachementalität. Aber wer wird denn eigentlich bestraft? Das Kaisertum Österreich oder die Bevölkerung von Südtirol? Du redest ja gerade so, als ob es unbewohntes Gebiet gewesen wäre. Eine Art Reparationszahlung. Wie gesagt, man sollte die Frage heute nicht mehr überbewerten (wer ernsthaft "Gebietsansprüche" stellt, hat doch den totalen Knall), aber aus der Sicht von 1918 finde ich die Vorgangsweise der Alliierten höchst problematisch.

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  6. "aber aus der Sicht von 1918 finde ich die Vorgangsweise der Alliierten höchst problematisch."

    Aber halt bei weitem nicht so problematisch, wie einen Krieg vom Zaun brechen, der Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Diese Südtirol-Sache wird m.e. aus ideologischen Gründen im Vergleich zu anderen - viel fataleren Ereignissen des Ersten Weltkriegs (nicht zuletzt den deutsch/österreichischen Kriegsverbrechen) extrem überbewertet.

    Abgesehen davon: Es ist doch kein Problem, wenn Südtirol Teil von Italien ist - warum müssen sich Staats- und Sprachgrenzen zwangsläufig überschneiden?

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  7. "Diese Südtirol-Sache wird m.e. aus ideologischen Gründen im Vergleich zu anderen - viel fataleren Ereignissen des Ersten Weltkriegs (nicht zuletzt den deutsch/österreichischen Kriegsverbrechen) extrem überbewertet."
    Ich will ja jetzt nicht den Oberlehrer spielen, aber: Diese Argumentationsform ist ein logischer Fehler. Denn nur weil es schlimmere Dinge gibt, macht es etwas anderes deshalb noch nicht OK. So in etwa argumentieren auch konservative Kommenentatoren in den USA: Es gibt doch viel schlimmere Dinge als Waterboarding!

    "Abgesehen davon: Es ist doch kein Problem, wenn Südtirol Teil von Italien ist - warum müssen sich Staats- und Sprachgrenzen zwangsläufig überschneiden?"
    Ich wusste, dass das früher oder später kommen wird. Sozusagen das "Internationalismusargument". In der Theorie super klasse, in der Praxis....es funktioniert heute schon nur mit großer Anstrengung, wenn eine solche Situation vorliegt, dann stell dir das mal vor 90 Jahren vor.

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  8. Sorry, aber das was da zu Südtirol zum Teil gesagt wird, ist wirklich Jammern auf hohem Niveau. Auf derart umfangreiche Rechte wie deutschsprachige SüdtirolerInnen sie haben, warten viele Minderheiten bis heute vergeblich. Die von dir bereits weiter oben erwähnten Kärntner SlowenInnen sind diesbezüglich ein gutes Beispiel: Der Artikel 7 ist meines Wissens nach wie vor nicht umgesetzt und das kürzlich beschlossene Volksgruppengesetz bedeutet letztlich eine Einzementierung dieses Unrechts.

    Und jetzt kommen wir zu großen Heuchelei: Während Österreich seit 1955 nicht gewillt ist, den Minderheiten im eigenen Staatsgebiet die durch den Staatsvertrag zugesicherten Rechte auch tatsächlich zuzugestehen, nimmt man sich beständig einer ungleich privilegierteren deutschsprachigen Minderheit in einem anderen Staatsgebiet an. Und das hat - wie gesagt - ideologische Gründe (denn ein ernsthaftes Interesse an Minderheitenrechten ist offensichtlich nicht vorhanden - siehe Minderheiten in Österreich).

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  9. Das ist vielleicht eine gute Kritik an FPÖ/BZÖ oder der österreichischen Politik im allgemeinen, geht aber an der Sache vorbei. Es stimmt schon: Wer heute noch eine "Lösung" für Südtirol sucht, lebt wohl mehr in der Vergangenheit - denn ein Problem gibt es eigentlich nicht. Eine Initiative zum "Anschluss" an Österreich müsste - wennschon, dennschon - von den Südtirolern ausgehen, und nicht von Martin Graf und co.

    Aber ich betone noch einmal: Ich finde die Vorgangsweise von 1918 aus gesehen doch sehr problematisch. Deine Argumente konnten mich jetzt leider nicht überzeugen (Gebietsverlust als quasi Reparation, Relativierung durch Vergleich mit Kriegsverbrechen, Kritik an Heuchelei der FPÖ etc.).

    Und was das alles mit "Südtriol heute" zu tun hat, ist mir eigentlich auch schleierhaft. Nachdem die Reichweite angeblich ca. 100.000 beträgt (immerhin 20% der Einwohner), ist offenbar ein Interesse vorhanden. Aber davon versteckte "Gebietsansprüche" Österreichs oder des ORFs herauslesen zu wollen, finde ich doch seltsam. Die Qualität dieser Sendung ist eine andere Frage...

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