Während Dror Zahavis Alles für meinen Vater auf filmische Weise Empathie für Täter und potentielle Opfer zu wecken versucht, steht Hany Abu-Assads Paradise Now - auch wenn er sich nur schlecht als Propagandafilm zur Rekrutierung von Selbstmordattentätern eignet - bedingungslos auf der Seite der Täter.
Bevor Said (Kais Nashif) sich in Paradise Now die Luft sprengt, sehen wir eine stumme Abfolge von Kameraeinstellungen. Zunächst ein close-up von Saids Gesicht. Er ist mit Bart zu sehen, woraus hervor geht, dass es sich um eine Rückblende handelt. Danach ist Suha (Lubna Azabal) zu sehen, wie sie an einem Tisch sitzt. Die Kamera filmt zunächst im medium shot und zoomt anschließend zu einem close-up von Suhas Gesicht heran. In einem ähnlichen Verfahren werden danach die zwei für den Film wichtigsten Mitglieder der namenlosen Terrororganisation gezeigt. In der nächsten Einstellung wird Saids Mutter (Hiam Abbass) im close-up gefilmt. Sie kämpft mit den Tränen. Es folgt der schluchzenden Khaled; auf der Rückbank des durch Tel Aviv fahrenden Autos sitzend. Die letzte gefilmte Einstellung des Films beginnt mit einem full shot des Inneren eines vollbesetzten Busses. Die Kamera zoomt immer näher an Saids Gesicht heran bis nur noch seine Augen zu sehen sind. Es folgt ein harter Schnitt in ein gänzlich weißes Bild, dass langsam schwarz überblendet wird. Der Film endet an dieser Stelle. Die Detonation ist weder zu sehen noch zu hören.
Gänzlich anders wird die Detonation des Sprengstoffgürtels in Alles für meinen Vater inszeniert. Tarek begibt sich am Sonntag morgen, wie mit dem Tanzim verabredet, auf den belebten Markt. Katz ahnt von seinen Anschlagsplänen und folgt ihm. Auf dem Markt kommt es zu einem Streitgespräch zwischen Katz und Tarek, dass im ersten Artikel dieser Reihe zitiert wird. Vor und während des Gesprächs wird unter Verwendung einer Parallelmontage gezeigt, wie Sondereinheiten der Polizei den Markt umstellen und Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Häuser postiert werden. Als sie glauben, dass Tarek den Sprengsatz zünden will, schießen sie auf ihn und treffen den Sprengstoffgürtel. Ähnlich wie in Paradise Now folgt nun ein Schnitt und die Detonation ist nicht zu sehen. Aber sie ist zu hören, denn der Film endet nicht – wie Paradise Now – vor der Detonation der Bombe. Zu sehen ist ein medium close-up der am Strand von Tel Aviv schlafenden Keren (Hili Yalon). Durch den Lärm der entfernten Detonation erwacht sie, richtet sich auf und entdeckt die Nägel, die Tarek neben ihr liegen hat lassen. Es folgen Bilder des zerstörten Marktes, auf dem gerade ein Reporter einen Polizeisprecher interviewt. Er erklärt, dass es keine Todesopfer gibt. Abermals wird Keren gezeigt, wie sie den Strand verlässt. In weiteren Einstellungen sind die weinende Mutter Tareks und der trauernde Vater zu sehen. Danach sind die mit den Tränen kämpfende Keren und Katz (Shlomo Vishinsky) mit eingegipsten rechten Arm zu sehen. Palästinensische Jugendliche werden gezeigt, wie sie Propaganda-Plakate anbringen, die Tarek mit Koran, Maschinengewehr und einer Palästina-Fahne im Hintergrund zeigen. Die letzte Einstellung des Films zeigt das Gesicht der trauernden Keren in Großaufnahme.
Tarek lässt die Nägel, welche die Tödlichkeit des Sprengsatzes beträchtlich erhöhen würden, am Strand von Tel Aviv liegen. Auch wenn er in seiner ausweglosen Situation keine andere Möglichkeit sieht, außer sich auf einem belebten Markt in Tel Aviv in die Luft zu sprengen, kam es im Laufe des Films zu einer Leuterung. Außer Tarek selbst, kommt bei dem Anschlag niemand ums Leben. Die potentiellen Opfer haben Namen und Gesicht. Das Publikum kennt ihre komplizierten Lebensgeschichten und empfindet Empathie. Dennoch ist es eine Empathie, die aus einem Täter ein Opfer der Verhältnisse macht. Alles für meinen Vater kann in diesem Zusammenhang als ambivalentes filmisches Pladoyer für Dialog verstanden werden.
Selbstmordattentäter im Kino (1): Die Motivation der Attentäter
Selbstmordattentäter im Kino (2): Die Terrororganisationen
Selbstmordattentäter im Kino (3): Der Blick auf Israel
Selbstmordattentäter im Kino (4): Der Raum der potentiellen Opfer
Siehe auch:
Zum späten Kinostart von "Four Lions"
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